Dieses Jahr hat den Wengertern in Untertürkheim einiges abverlangt: Jahr für Jahr wird weniger Wein getrunken und damit auch gekauft, da war 2024 keine Ausnahme. Dazu kamen Frost, viel Regen, manchmal auch Hagel, aber trotzdem war es ziemlich früh ziemlich lang ziemlich warm. Gerade war die Lese, die Qualität des Jahrgangs 2024 verspricht gut zu werden, die Menge variiert von Betrieb zu Betrieb, je nachdem wie stark eine Lage vom späten Frost Ende April betroffen war. Der vom Menschen verursachte und sich immer weiter beschleunigende Klimawandel stellt die Weinerzeuger, die Rebstöcke und die Böden vor immer neue Herausforderungen. Der so ausgelöste Veränderungsprozess hat längst begonnen - und wird unter anderem auch den bei Württembergern immer noch beliebten Trollinger betreffen.

Untertürkheim ohne Wein, das ist eigentlich undenkbar. Die Menschen hier haben jahrhundertelang vom Weinbau gelebt, das Bezirksamt beispielsweise wurde im 16. Jahrhundert als Wohnhaus und Kellerei der Herzoglichen Hofkammer erbaut. Wie wichtig die Weinproduktion nach wie vor ist, zeigen die den Ort bis hinauf nach Rotenberg umgebenden Weinberge. Und beispielsweise auch die Tatsache, dass im Industrie-, Handels- und Gewerbeverein Untertürkheim sieben Weinbaubetriebe Mitglied sind: die Weinmanufaktur wurde 1887 als Genossenschaft von 34 Winzern gegründet, das Collegium Wirtemberg ist die größte Weinbaugenossenschaft der Landeshauptstadt, außerdem das Weingut Warth, das Weingut im Hattenloh, das Weingut Wöhrwag, der Weinhof Zaiss und das Weingut Schwarz. Die erheblichen Frostschäden in den Untertürkheimer Reblagen in diesem Jahr stehen nicht etwa im Widerspruch zur Klimaerwärmung, sondern sind vielmehr eine Folge davon. Durch die wärmeren Winter und das wärmere Frühjahr fangen die Reben eigentlich viel zu früh an auszutreiben. Wenn dann wie in diesem Jahr die Nächte Ende April noch einmal frostig werden, erfrieren die Triebe. Das bedeutet oft sozusagen einen Totalschaden, weil auch die Nachtriebe den Verlust nicht ausgleichen können.
An Klimawandel anpassen
„Wir sind mit einem hellblauen Auge davon gekommen“, sagt Stefanie Schwarz vom gleichnamigen Weingut. „Dass die Natur immer früher wieder zum Leben erwacht, daran haben wir uns bereits gewöhnt und müssen dies auch weiter tun.“ Hans-Peter Wöhrwag dagegen ist viel stärker von den Frostschäden betroffen. 60 bis 70 Prozent des Erntevolumens seien dadurch vernichtet worden, sagt er und spricht vom kleinsten Herbst seit er den Betrieb 1990 übernommen hat. Andererseits, so Wöhrwag, seien die enormen Ertragsschwankungen durch den Klimawandel nichts Neues mehr. Deswegen hätten er wie auch seine Kollegen nach Möglichkeit entsprechende Puffer aufgebaut, Wein wird es also auch nach diesem Jahr genug geben.
Feuchte Witterung
Anders als in den vergangenen Jahren, als lange Trockenperioden den Wengertern und ihren Rebstöcken zu schaffen machten, hat es in diesem Jahr vor allem auch von Mai bis Juli richtig oft und viel geregnet. Das habe die Bewirtschaftung gerade in den Steillagen sehr erschwert, sagt Stefanie Schwarz, die auch IHGV-Vorsitzende ist. Auch für das Weingut Wöhrwag, das ganz auf Bio-Anbau umgestellt hat, haben die vielen Niederschläge einen beträchtlichen Mehraufwand bei der Arbeit im Weinberg bedeutet. Während in sonnigen Jahren die Blätter an den Rebstöcken die Trauben beschatten, damit sie keinen Sonnenbrand bekommen, müssen in feuchten Jahren mehr davon entfernt werden, damit die Trauben besser abtrocknen und keine weiteren Schäden etwa durch Schimmel oder Krankheiten entstehen. Und: Invasive Schädlinge wie die Kirschessigfliege haben in diesem Jahr vor allem den roten Sorten obendrein zugesetzt.
„Wir sind gesund in den Herbst gekommen“, sagt Hans-Peter Wöhrwag, „allerdings mit einem Riesenaufwand“. Und er freut sich auf die 2024er Weine, denn „die extremen Wetterlagen machen auch charaktervolle Weine“, das sei ja genau die Aufgabe der Weingärtner. Auch im Weingut Schwarz ist man mit der Qualität der geernteten Trauben sehr zufrieden.
Der Veränderungsprozess in den Betrieben und in der Landschaft wird auch nach diesem anspruchsvollen Jahr weitergehen. Bei Neuanlagen in den Weinbergen müsse die Installation von Bewässerungssystemen zwingend dazugehören, sagt Stefanie Schwarz, weil es in den warmen Monaten immer häufiger an Wasser fehle. Hans-Peter Wöhrwag ist zwar kein Freund von Bewässerung von oben, weil er es lieber sähe, wenn seine Rebstöcke das benötigte Wasser über ihre tief in den Boden reichenden Wurzeln holen und somit auch das Terroir in sich aufnehmen. Aber ohne Bewässerung werde es wohl auf Dauer nicht gehen. Er fürchtet auch, dass Steillagen unter den sich verändernden Bedingungen auf Dauer nicht mehr ökonomisch sinnvoll zu bewirtschaften sein werden.
Die Klimaveränderungen haben auch Auswirkungen auf die Wahl der Rebsorten und darauf, welche wo angepflanzt werden. Wöhrwag zum Beispiel baut in seinen direkten Südlagen keinen Riesling mehr an, weil es der Sorte dort zu heiß wird. Dafür kommt der Riesling dann in Lagen mit weniger direkter Sonneneinstrahlung. Das Weingut Schwarz richtet sich mehr in Richtung der weißen Burgunder aus, bei den Roten konzentriert sich der Betrieb auf Lemberger, Merlot und Spätburgunder. Und da gibt es ja noch den Trollinger, den Lieblingstrinkwein so mancher Württemberger. „Diese Sorte hat durch den Klimawandel bedingt mehr Probleme im Anbau, Mehltau und die Kirschessigfliege treffen den Trollinger häufig und auch in der Nachfrage ist er abnehmend,“ so Stefanie Schwarz. Deswegen dürfte so manche bisherige Trollinger-Fläche nach und nach mit anderen, geeigneteren Rebsorten bepflanzt werden. Sowohl das Weingut Schwarz als auch Wöhrwag testen inzwischen auch neue pilzwiderstandsfähige (PIWI) Rebsorten wie Cabernet Blanc (Schwarz) oder Sauvignon Gris, Sauvignac oder Johanniter (Wöhrwag). Hans-Peter Wöhrwag ist vom Geschmack der daraus gewonnenen Weine zwar noch nicht restlos überzeugt, will aber weiter probieren. Und auch Stefanie Schwarz sagt: „In dem Bereich werden wir uns Stück für Stück herantasten und ausprobieren.“
Von Jürgen Brand