Nun reagiert auch die Verwaltung: Der Stadtgarten soll heller werden. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth - Lichtgut/Achim Zweygarth

Jedes Jahr werden über 80 Kriminalfälle in Stuttgart frei erfunden - die angebliche Vergewaltigung einer Studentin im Stadtgarten gehört nun auch dazu. Die Frau gab zu, den Fall vorgetäuscht zu haben.

StuttgartDie junge Frau schien einen Alptraum durchlebt zu haben: Ein Mann fällt sie mitten im Unipark von hinten an, zerrt sie in ein Gebüsch, bedroht sie mit einem Messer, versucht sie zu vergewaltigen. Sie wehrt sich, kann in höchster Not entkommen. Wie ernst die Situation scheinbar gewesen ist, zeigt sich an ihrer Schulter: Im Bereich des Schüsselbeins hat die 20-Jährige Schnittverletzungen davongetragen.

Der Fall vom vergangenen Freitagabend hatte große Betroffenheit ausgelöst. Und Verunsicherung. Der Tatort liegt im Stadtgarten, dem Park in der Innenstadt zwischen den Unigebäuden, vor Jahrzehnten Anlaufpunkt der Marihuanaszene. Betroffen war eine 20 Jahre alte Studentin, die angab, auf dem Weg von der Unibibliothek zum Hauptbahnhof gewesen zu sein. Doch nun stellt sich heraus: Die Attacke hat sich nicht abgespielt, der Täter ist nur ein Phantom. Die Ermittler werden nicht länger nach einem etwa 25-jährigen, schlanken Südländer mit Dreitagebart und Jogginganzug suchen: Am Donnerstag gab die Polizei bekannt, dass das Verbrechen wohl gar nicht stattgefunden hat. Es hätten sich „Ungereimtheiten zwischen der Aussage der 20-Jährigen und den gesicherten Spuren“ ergeben, heißt es. Die Betroffene habe sich in Widersprüche verwickelt und zugegeben, dass sie den Fall vorgetäuscht habe. „Unter anderem war auffällig, dass sich keine Zeugen gemeldet hatten“, sagt Polizeisprecher Stephan Widmann. Dabei konnte sich die Tat nicht völlig im Verborgenen abgespielt haben. Auch andere Befunde der Ermittler passten nicht zu der Geschichte der 20-Jährigen. Bei weiteren Vernehmung am Mittwoch räumte die junge Frau schließlich ein, dass es den Überfall überhaupt nicht gab.

Mögliche psychische Erkrankung

Ihr Motiv ist unklar. Allerdings dürfte alles mit einer möglichen psychischen Erkrankung erklärbar sein: „Das könnte vermutlich eine Rolle gespielt haben“, sagt Polizeisprecher Widmann. Abgeschlossen ist der Fall damit noch nicht: Die junge Frau erwartet nun ein Strafverfahren wegen Vortäuschens einer Straftat.

Das kommt in Stuttgart nicht einmal selten vor. 83 Fälle sind in der polizeilichen Kriminalstatistik vom vergangenen Jahr als frei erfunden registriert, im Jahr davor waren es 86. Meist handelte es sich um angebliche Raubüberfälle oder Diebstähle. Erfundene Sexualstraftaten sind aber eher selten darunter. „Das kommt allenfalls gelegentlich vor“, heißt es im zuständigen Dezernat für Sexualdelikte.

Tatsächlich spielte sich der bislang letzte größere Fall außerhalb der Stadtgrenzen ab – und zwar vor einem Jahr in Vaihingen/Enz (Kreis Ludwigsburg). Dort hatte eine Jugendliche angezeigt, auf dem Weg zum Bus von zwei Männern angegangen und sexuell belästigt worden zu sein. Am Ende kam heraus, dass die Tat erfunden war. Hintergrund sollen familiäre Probleme des Mädchens gewesen sein. In Stuttgart sorgte 2015 der Fall einer Grundschülerin für Aufregung, die angeblich im Nordbahnhofviertel von einem Unbekannten mehrfach verfolgt und angegriffen worden war. Die Verunsicherung unter den Eltern war groß. Am Ende stellte sich allerdings heraus: alles erfunden.

Erste Sanierungsschritte

Der Fall hatte freilich erneut eine Debatte um den vergessenen Unipark angestoßen, der schon seit Jahren neu gestaltet und saniert werden soll – aber nicht wird. Dass der Übergriff im Park nur erfunden war, „ändert nichts daran, dass der Stadtgarten und Umgebung dringend einer Verbesserung der Beleuchtung bedürfen“, erklärt nun Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) auf Anfrage.

Schairer unterstützt damit eine Forderung der Bezirksvorsteherin des Stadtbezirks Mitte, Veronika Kienzle (Grüne). Sie will nicht auf eine seit Jahren ausstehende Sanierung warten, sondern Sofortmaßnahmen umgesetzt wissen. Offensichtlich findet sie Gehör: Das Technik-Referat im Rathaus lasse beim Energieversorger Energie Baden-Württemberg prüfen, „was kurzfristig gemacht werden kann“, sagt Schairer. Allerdings, schränkt er ein, „gibt es in Stuttgart einige Anlagen, die nicht alle hell erleuchtet werden können“.