Die Unfallstelle am Sonntagabend nahe dem Klärwerk in Mühlhausen: Warum kam es trotz Ampelregelung zu der Kollision zwischen Auto und Stadtbahn? Foto: 7aktuell.de/Oskar Eyb - 7aktuell.de/Oskar Eyb

Die Kollisionen zwischen Autos und Stadtbahnen auf Gleisüberwegen häufen sich – der jüngste Unfall im Nordosten Stuttgarts endete tragisch. Im Auto kam ein Kind ums Leben.

Stuttgart Die tödliche Kollision zwischen einer Stadtbahn und einem Auto, bei dem ein vierjähriges Kind an der Stadtgrenze zwischen Stuttgart und Remseck im Kreis Ludwigsburg ums Leben kam, gibt der Polizei weiter Rätsel auf. „Wir gehen davon aus, dass die Ampel funktioniert hat“, sagt Polizeisprecher Peter Widenhorn am Montag. Derzeit werden Videoaufnahmen eines nahe gelegenen Klärwerks ausgewertet. Womöglich hat die 33-jährige Autofahrerin eine rote Ampel nicht beachtet. Fragen über Fragen: Warum war die Frau aus Ludwigsburg am Sonntag gegen 19 Uhr mit ihrem Ford Mondeo überhaupt am Abzweig zum Hauptklärwerk Mühlhausen unterwegs? Hatte sie sich verfahren? Oder wollte sie die Stelle für ein schnelles Wendemanöver zurück nach Stuttgart benutzen?

Der Unfall spielte sich an der L 1100 zwischen Mühlhausen und Remseck-Aldingen ab – eine Stelle, die in der Vergangenheit immer wieder Schauplatz spektakulärer Unfälle geworden ist. Die Einmündung zum Klärwerk wird von Stadtbahngleisen durchschnitten, die parallel zur Straße verlaufen. Auf diesen Gleisen befand sich der Ford Mondeo der 33-Jährigen mit ihrem vierjährigen Sohn, als sich aus Remseck eine Stadtbahn der Linie U 12 Richtung Stuttgart näherte.

Der 53-jährige Stadtbahnfahrer konnte mit seinem 60-Tonnen-Zug die Kollision nicht verhindern. Das Auto wurde an der Beifahrerseite getroffen und 30 Meter mitgeschleift. Die Fahrerin wurde schwer verletzt, für ihr Kind kam jede Hilfe zu spät. Der Bub saß hinten rechts im Kindersitz – hatte aber keine Chance. Offenbar bohrte sich die Kupplung der Stadtbahn in die Beifahrerseite des Pkw und zermalmte die gesamte rechte Seite bis zum Kofferraum. Der Stadtbahnfahrer erlitt einen Schock.

Nach ersten Erkenntnissen hatte die Ford-Fahrerin aus dem Bereich der Kläranlage nach links auf die L 1100 abbiegen wollen. Dieser Bereich ist mit einer Ampel geregelt. Ein Sachverständiger soll prüfen, ob die Ampel funktionierte und welche Farbe sie anzeigte. Zudem sollen Videoaufnahmen vom Klärwerksgelände klären, ob die Autofahrerin bei Rot über die Gleise fuhr. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Fahrerin gar nicht aus der Zufahrt kam, sondern womöglich auf der Landesstraße ein Wendemanöver versuchte – und die Gleise im Wendekreis lagen. Eine rote Ampel hätte sie so gar nicht sehen können.

Die Unfallstelle ist nicht zum ersten Mal Schauplatz von tragischen Kollisionen. Im Dezember 2017 überschlug sich dort ein 26-jähriger BMW-Fahrer nach einem Ausweichmanöver. Er blieb auf dem Dach im Gleisbett liegen. Der Sachschaden betrug etwa 10 000 Euro Schaden. Besonders folgenschwer war ein Abbiegemanöver eines 44-jährigen Lkw-Fahrers im April 2016, der offenbar ein Ampelsignal übersah und mit seinem Gefahrgutlaster mit einer Stadtbahn kollidierte. Der mit Eisen-III-Chlorid beladene Tank blieb an den Gleisen liegen. Es gab einen Schwerverletzten, eine mehrtägige aufwendige Bergung und 1,3 Millionen Euro Schaden.

Werden Signalanlagen nicht beachtet, sind die Folgen meist fatal. Bei der Frage der Schwere der Unfallfolgen stand zuletzt besonders die Kupplung der Stadtbahn im Visier der Unfallforscher. Bei der Stadtbahn, die am Sonntag mit dem Familienauto kollidierte, handelt es sich um einen Zug der ersten Generation, einen generalüberholten Zug des Typs DT 8.9 aus dem Jahr 1996. Bilder vom Unfallort zeigen, dass sich die hervorstehende Kupplung in der rechten Autoseite regelrecht verkeilt hatte. Womöglich hätte der Unfall mit einer Stadtbahn neueren Typs nicht ganz so dramatische Folgen gehabt. Seit der Generation des DT 8.11 im Jahr 2003 sind Kupplung und Front vollständig verkleidet. „Dadurch wird die Fläche größer und eine punktuelle Energie stärker verteilt“, sagt Silja Gis Kollner, Sprecherin des Schienenfahrzeugherstellers Stadler Pankow GmbH in Berlin. Diese Firma hat die jüngste Stadtbahn-Generation DT 8.12 entwickelt, deren Kupplung mehr als ein Viertel der Frontfläche einnimmt.

Verkleidete Kupplungen

Generell versuchen Hersteller von Schienen-Neufahrzeugen mit verkleideten Kupplungen so viel Schaden wie möglich von Fußgängern und Fahrzeugen fernzuhalten. Dazu gehören Kunststoffteile an der Front, die elastisch Energie aufnehmen. Als Vorsorgemaßnahme für Fußgänger gilt auch ein elastischer Unterfahrschutz, der eine Person auf dem Gleis wie ein Schneeräumer beiseiteschiebt. Für die Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) stellen sich die Fragen nach Kupplungsproblematik und Nachrüstbarkeit bei Altfahrzeugen zunächst nicht. „Wir können dazu keine Angaben machen“, sagt SSB-Sprecherin Birte Schaper. Die polizeilichen Ermittlungen zum Unfallhergang und zur Ursache seien noch im vollen Gange.

Hintergrund

Die Alarme: Zusammenstöße zwischen Autos und Stadtbahnzügen auf Gleisüberwegen gehören zum traurigen Alltag in Stuttgart. Allein in diesem Jahr gab es bereits zehn Unfälle mit insgesamt 260 000 Euro Schaden. Dabei gab es fünf Verletzte und ein Todesopfer.

Die Unfallorte: Einen Unfallbrennpunkt gibt es nicht. Allerdings sind manche Stadtbezirke stärker betroffen als andere. Die traurige Hitliste der vergangenen zwei Jahre führt Bad Cannstatt an, gefolgt von den Stadtbezirken Ost und West. Auch in Möhringen gibt es häufig Unfälle.

Das Netz: Es gibt nur zehn Kilometer, bei denen Bahngleise in Straßenfahrbahnen eingebettet sind. Das gesamte Schienennetz ist 231 Kilometer lang.

Die Ursachen: Meist sind es die Autofahrer, die Kollisionen auslösen – ihr Anteil liegt bei etwa 70 Prozent. Häufig wird die Vorfahrt bei Ampelanlagen nicht beachtet, oft gibt es verbotene Wende- oder Abbiegemanöver über Gleise. (wdo)