Die Veranstalter erwarten, dass etwa 6000 Menschen an dem Umzug für Gleichstellung und Akzeptanz in der Innenstadt teilnehmen. Foto: DPA - Symbolbild dpa

Stuttgart (dpa/lsw) - Das Schwabenland gilt eher als konservativ. Davon ist am Samstag nichts zu spüren. Auf den Straßen in Stuttgart sind viele bunte Kostüme zu sehen. Es wird ausgelassen getanzt. Die Stimmung ist heiter. Was an den brasilianischen Karneval in Rio erinnert, hat einen politischen Hintergrund: Tausende Schwule und Lesben demonstrieren beim Christopher Street Day (CSD) für mehr Gleichberechtigung und Vielfalt. Nach Polizeiangaben sehen sich 175 000 Menschen das Spektakel an.

Bei der schrillen Parade laufen Tausende Verkleidete neben Dragqueens in hautengen Glitzer-Kleidern und Fetischisten in Lederkluft. Zusammen feiern sie unter dem Motto „Perspektiv-Wechsel“. Damit neben Extravaganz und Party der politische Charakter nicht zu kurz kommt, gibt es zum dritten Mal eine Jury, die alle Gruppe bewertet.

Im Vorfeld gab es kritische Äußerungen. Die Jury wurde als „Sittenwächter“ bezeichnet. Christoph Michl, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft CSD Stuttgart, betont, dass sich bei der Beurteilung durch die Jury nichts geändert hat.

Hintergrund der Diskussion waren kritische Äußerungen von Jurymitglied und Moderator Chris Fleischhauer. Der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“ sagte er im Vorfeld mit Blick auf den CSD, er habe ein Problem mit zur Schau gestellter „sexueller Freizügigkeit“.

Alle Jurymitglieder sind sich daher am Samstag einig: Die politische Botschaft spielt eine große Rolle, aber das Feiern und der Spaß sind aber genau so wichtig. Wegen zu viel Nacktheit müssen sie allerdings nicht eingreifen und eine schlechte Bewertung abgeben.

„Neben der Botschaft finde ich es wichtig, wie die Gruppen das Publikum mitnehmen und ihre Ansichten rüberbringen“, begründet Margarete Voll von der Allianz Deutschland AG, die als Vertreterin bewertet. Jurymitglied Tobias Gehre vom CSD Münster legt dagegen mehr Wert auf Gender-Gerechtigkeit.

Michl bedenkt, dass die Tradition des CSD bunt und schrill sei. Der Ursprung der Parade sei es daran zu erinnern, dass Transsexuelle gegen Polizeiwillkür vorgegangen waren. „In den 80ern und 90ern mussten sich die Teilnehmer der Parade aus Schutz vor Diskriminierung schminken und verkleiden“, sagt Michl. Daher sei es auch heute noch üblich, sich extrem zu verkleiden und auch Haut zu zeigen.
Die Teilnehmer feiern und demonstrieren bei der Parade zu gleichen Teilen: „Wir haben dieses Jahr zwei Erfolge zu feiern, mit der Ehe für alle und der Rehabilitierung der Betroffenen des Homosexuellen-Paragrafen“, listet Christoph Michl auf. Das Ziel sei es aber weiter, Akzeptanz in die Köpfe der Gesellschaft zu bringen.

Der Bundestag hatte Ende Juni für die Ehe für alle gestimmt. Damit sprachen sich die Abgeordneten für eine völlige rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare aus. Auch ernste Themen werden bei der Parade angesprochen, wie die Akzeptanz der Community in der breiten Gesellschaft. Der Zuschauer Julian bemängelt, dass die Politiker ihre Agenda nur zu Wahlen regenbogenfreundlich machten: „Die Politik sollte immer für die Community eintreten und nicht nur in bestimmten Perioden.“