„Ich fühle mich hier wie zuhause“, sagt die Syrerin Salwa Almohamed, die über ein Landesprogramm für Wissenschaftler Zuflucht in Stuttgart gefunden hat. Foto: dpa - dpa

Eine Dozentin der Universität Aleppo hat sich mit ihren Kindern nach Baden-Württemberg gerettet. Sie ist Teilnehmerin eines bundesweit einzigartigen Landesprogramms für bedrohte Wissenschaftler.

Stuttgart (dpa/lsw) Am Anfang ist die Angst. Im Jahr 2015 erlebt die Wissenschaftlerin Salwa Almohamed einen Bombenangriff auf ihre Heimatstadt Aleppo. Dabei wird auch der Kindergarten getroffen, in dem sie ihren Sohn auf dem Weg zur Universität abgegeben hat. Über Stunden ist die Dozentin für Agrarwissenschaften in Angst um ihr Kind, wie sie erzählt, weil sie keinen Kontakt zur Kita herstellen kann. Der Junge überlebt den Angriff im Keller der Einrichtung. Die 42-jährige Syrerin erinnert sich mit Grauen: „Das waren die schwersten Stunden meines Lebens. Damals war mir klar, dass ich weg gehen muss mit den Kindern.“

Heute sitzt die zierliche Frau mit Kopftuch in einem Zimmer des Instituts für Tropische Agrarwissenschaften an der Uni Hohenheim in Stuttgart vor ihrem Computer. Die beiden Söhne, fünf und sieben Jahre alt, weiß die Gastwissenschaftlerin sicher in Kita und Schule. Die drei leben im nahen Gästehaus der Universität. Almohamed profitiert seit November vergangenen Jahres vom „Baden-Württemberg Fonds für verfolgte Wissenschaftler“.

Baden-Württemberg Fonds für verfolgte Wissenschaftler

Diesen legte das Wissenschaftsministerium im Jahr 2017 als Reaktion auf die dramatisch zunehmenden Verfolgungen von Wissenschaftlern weltweit auf. Das nach Angaben des Ressorts von Theresia Bauer (Grüne) einzigartige Förderprogramm eines Bundeslandes umfasst gut eine Million Euro und wird von der Baden-Württemberg Stiftung und der Max-Jarecki-Stiftung jeweils zur Hälfte finanziert. Es soll bis zu 25 Forschende an einer Hochschule des Landes unterstützen.

Neben Almohamed werden neun weitere Wissenschaftler aus Syrien und der Türkei gefördert. Noch sind nicht alle an einer Hochschule: Die Platzierung an einer passenden Hochschule, Ausreisehindernisse wie der Verlust des Passes oder private Umstände wie Kinder sind die großen Herausforderungen.

Signal für die Freiheit von Forschung

Für Ministerin Bauer ist das Programm ein Signal für die Freiheit von Forschung und Lehre: „Wissenschaft gelingt nur in Freiheit und Sicherheit. Baden-Württemberg soll ein sicherer Hafen für freie, unabhängige Wissenschaft sein.“ Menschen wie Almohamed und ihre Geschichte bestätigten, dass das Land den richtigen Weg eingeschlagen habe. „Mit diesem Programm setzt Baden-Württemberg auch ein klares Zeichen dafür, dass in Europa die Wissenschaft frei ist und dass sie kritisch sein darf, ja sein muss.“

Almohamed beschäftigt sich mit den landwirtschaftlichen Ursachen des 2011 gestarteten Bürgerkrieges in ihrem Land. Dabei will sie der These nachgehen, dass durch den Klimawandel bedingte Wasserknappheit und Dürren die landwirtschaftliche Produktion immer weniger auskömmlich machten und die Bauern in die Städte abwandern ließen. Dort bildete sich dann Unruhepotenzial. Als weitere Ursache des Aufstands gegen das Assad-Regime kommt ihr zufolge eine Änderung der Agrarpolitik in Frage, die zu einer Verteuerung der Lebensmittel führte. Sie selbst ist nach eigenen Worten politisch nie aktiv gewesen. Ihre Forschungsergebnisse sollen in eine wissenschaftliche Veröffentlichung fließen.

Mann ist noch in Syrien

In Syrien hält der Mann der Forscherin noch die Stellung. Der Geschäftsmann kann sich nicht vorstellen, die Heimat zu verlassen, erzählt sie. Ihre drei Schwestern leiden in Aleppo unter mangelhafter Wasser- und Stromversorgung sowie Inflation. Die drei Brüder haben ihr zufolge in Damaskus bessere Lebensbedingungen.

Almohamed tut sich anders als ihre Angehörigen leichter mit dem Schritt ins Ausland. Denn sie hat bereits zwischen 2004 bis 2008 in Deutschland gelebt und geforscht. An der Universität Hohenheim machte sie ihren Doktor in Agrarwissenschaften. Als der Beschuss der Heimat nicht mehr auszuhalten war, habe sie sofort an Deutschland gedacht.

"Fühle mich wie zuhause"

„Ich fühle mich hier wie zuhause.“ Die Leute respektierten sie trotz Kopftuchs, sagt die Sunnitin. Sie schätze auch, dass es hier keine Korruption gebe, wie sie in Syrien weit verbreitet sei. Was wünscht sie sich für ihr Land? „Den Wiederaufbau der Infrastruktur und Ruhe, Ruhe, Ruhe. Die Leute leiden seit sieben Jahren.“

Hintergrund:

  • Zehn bedrohte Wissenschaftler aus Syrien und der Türkei können mit Hilfe des Landes Baden-Württemberg in Freiheit und Sicherheit forschen. Sie profitieren vom „Baden-Württemberg Fonds für verfolgte Wissenschaftler“, wie das Wissenschaftsministerium in Stuttgart mitteilte. Diesen legte das Ministerium im Jahr 2017 als Reaktion auf die dramatisch zunehmenden Verfolgungen von Wissenschaftlern weltweit auf.

  • Das nach Angaben des Ressorts von Theresia Bauer (Grüne) einzigartige Förderprogramm eines Bundeslandes umfasst gut eine Million Euro und wird von der Baden-Württemberg Stiftung und der Heidelberger Max-Jarecki-Bildungs-Stiftung jeweils zur Hälfte finanziert. Es soll bis zu 25 Forschende an einer Hochschule des Landes unterstützen.

  • Noch sind nicht alle, die einen Zuschlag erhalten haben, an einer Hochschule: Die Platzierung an einer passenden Hochschule, Ausreisehindernisse wie der Verlust des Passes oder private Gründe wie Kinder sind die großen Herausforderungen.

  • Für Ministerin Bauer ist das Programm ein Signal für die Freiheit von Forschung und Lehre: „Wissenschaft gelingt nur in Freiheit und Sicherheit. Baden-Württemberg soll ein sicherer Hafen für freie, unabhängige Wissenschaft sein.“ Aktuell läuft eine weitere Ausschreibungsrunde. Ende April 2018 entscheidet eine Auswahlkommission über die weitere Vergabe von Fördermitteln.

Das Land Baden-Württemberg unterstützt Wissenschaftler und akademischen Nachwuchs aus Krisengebieten insgesamt mit drei Programmen.

  • Der BW-Fonds für bedrohte und verfolgte Wissenschaftler:
    Wissenschaftler, die aufgrund politischer oder kriegsbedingter Umstände ihr Land verlassen müssen oder nicht mehr in dieses zurückkehren können, sollen an baden-württembergischen Hochschulen ihre Forschung fortsetzen können. Ziel ist es, dass sie später zum Aufbau ihres Landes beitragen und dort weiter lehren und forschen können. Dafür steht gut eine Million Euro bereit.

  • Baden-Württemberg Programm für Flüchtlinge aus Syrien:
    Mit Stipendien sollen junge talentierte Menschen aus Syrien ein Studium an einer Hochschule im Land beginnen oder fortsetzen können. Bei zwei Ausschreibungen 2015 und 2016 erhielten insgesamt 91 Studenten aus Syrien ein Stipendium. Die Mittel sind für die Lebenshaltungskosten, aber auch für studienvorbereitende Sprachkurse vorgesehen.

  • Psychotherapeutenausbildung an der Universität Dohuk im Nordirak:
    Unter Federführung des Wissenschaftsministeriums hat das Land gemeinsam mit der Universität Dohuk im Nordirak ein Institut für Psychotherapie aufgebaut. Derzeit werden 30 Studenten im Masterstudiengang Psychotraumatherapie ausgebildet. Sie werden bereits während ihres Studiums in Camps als Therapeuten für traumatisierte Flüchtlinge eingesetzt. Rund die Hälfte der Studenten wird zu Ausbildern ausgebildet, um langfristig eine Therapeutenausbildung vor Ort anbieten zu können.