Aus dem Gotteshaus St. Stefan wird eine Buchhandlung. Das Stadtdekanat hat die Räumlichkeiten vermietet. Die Umwidmung ist kein Einzelfall mehr in Stuttgart. Foto: Eisenmann Quelle: Unbekannt

Von Andrea Eisenmann

Stuttgart - In den vergangenen drei Jahren stand die Kirche St. Stefan im Westen der Stadt die meiste Zeit über leer. In wenigen Tagen wird in dem Gebäude nun der letzte Gottesdienst gefeiert: Nach einer kurzen Umbauzeit wird darin im März kommenden Jahres eine Buchhandlung eröffnen. Es ist nicht die erste Kirche, die einer neuen Nutzung zugeführt wird - und wohl auch nicht die letzte.

Auch in der Landeshauptstadt verlieren die christlichen Kirchen mehr und mehr Mitglieder, Gotteshäuser stehen mitunter leer - ihr Unterhalt verschlingt jedoch weiterhin Geld. Dieses Dilemma stellt die Verantwortlichen in vielen Städten derzeit vor Herausforderungen. Nicht selten werden Gebäude verkauft beziehungsweise anderweitig genutzt. Jüngstes Beispiel in Stuttgart ist die Kirche St. Stefan in der Rotenwaldstraße 98. Dort werden Holzstühle durch Regale ersetzt: In das seit drei Jahren leer stehende Gebäude zieht eine Buchhandlung ein, die zugleich als Begegnungszentrum in dem Stadtteil genutzt werden soll. „Auch wenn der Abschied von der Kirche schwer fällt, freuen wir uns, dass St. Stefan zu einem Ort der Literatur, Musik und Kultur und zu einem Ort der Begegnung für Familien wird“, sagt Werner Laub, der leitende Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde Stuttgart-West/Botnang, zu der St. Stefan bislang gehört. Eine enge Kooperation mit dem gleichnamigen Kinderhaus und Familienzentrum ist ebenfalls geplant.

Der letzte Gottesdienst wird an diesem Samstag um 14 Uhr gefeiert. An dessen Ende werden Gemeindemitglieder das Kreuz aus der Kirche tragen - als Symbol dafür, dass St. Stefan kein geweihter Ort mehr ist. Altar, Tabernakel und Ambo bleiben zurück und erinnern Besucher der Buchhandlung an das einstige Gotteshaus. „Was in dem Raum ist, hat unsere Kultur und damit auch uns geprägt“, versichert die Lektorin, Verlagsgründerin und Inhaberin von „Buch und Spiel“, Marie-Luise Zeuch. Die 64-Jährige, deren Unternehmen die Räumlichkeiten von der Kirche angemietet hat, beteuert, man wolle nicht nur Buchhandlung, sondern auch Begegnungszentrum sein. „Ich möchte die Kirchentür weit öffnen und auch Menschen begrüßen, die Ruhe suchen, die eine halbe Stunde Zeit für sich brauchen oder die nur ein bisschen Stöbern möchten.“Anfang März soll Eröffnung gefeiert werden. Der genaue Termin ist davon abhängig, wie lange die Umbauten dauern. So soll eine Heizung eingebaut und die Beleuchtung verändert werden. Im Januar wollen die Beteiligten ausloten, welche Kooperationen möglich sind. Angedacht sind Spielenachmittage für Kinder und Erwachsene, Bilderbuch-Lese-Nachmittage, auch ein Lesekreis soll sich ansiedeln.

In diesem Jahr ist es die zweite Profanierung einer Stuttgarter Kirche innerhalb von wenigen Wochen. Mitte Oktober läuteten in Birkach zum letzten Mal die Glocken, bald rücken dort die Abrissbagger an. Auf dem Areal der Pallotti-Kirche baut das Siedlungswerk ab dem kommenden Jahr Wohnungen für Familien, Studenten und Flüchtlinge sowie eine Kindertagesstätte. „Auch ein Schwesternkonvent soll dort einziehen“, sagt Nicole Höfle, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im katholischen Stadtdekanat. 2015 wurde in Bad Cannstatt die Kirche St. Peter entweiht und abgerissen. An ihrer Stelle wird bis Dezember nächsten Jahres ein neues Gotteshaus samt Gemeindezentrum und Kita entstehen. Nebenan baut die Stiftung Liebenau ein Wohnheim und Werkstätten für Behinderte.

Trotz aller Veränderungen: Ein Ausverkauf sei nicht im Gange, sagt Höfle mit Blick auf St. Stefan. Angesichts der demografischen Entwicklung wurde allerdings vor sieben Jahren begonnen, alle kirchlichen Standorte in Stuttgart zu begutachten und zu bewerten. Am Ende wurde beschlossen, für 20 von diesen neue Konzepte zu entwickeln - unter Berücksichtigung von sozialen Interessen. „Wir sind sehr glücklich darüber, dass wir im Vergleich zu anderen Diözesen an keinem einzigen Standort einfach nur zumachen, Immobilien veräußern und die Kirche verschwindet“, betont Stadtdekan Christian Hermes. „Durch Kooperationen mit sozialen und kulturellen Einrichtungen entsteht immer auch ein Mehrwert für das Quartier.“

St. Stefan

Die Kirche St. Stefan wurde 1976 als Filialkirche von St. Elisabeth eröffnet - damals mit dem Ziel, die größte katholische Gemeinde im Stuttgarter Westen zu entlasten. In dem Wohngebiet nahe Westbahnhof lebten viele Katholiken, die Kirche, Gemeindezentrum und Kindergarten dankbar annahmen. In den vergangenen Jahren aber zogen viele junge Familien ins Umland, die Gemeinde wurde immer kleiner. Zuletzt wurden sonntags nur noch wenige Gläubige in St. Stefan gezählt, sodass der Kirchengemeinderat von St. Elisabeth 2014 entschied, dort keine Gottesdienste mehr anzubieten.