Quelle: Unbekannt

Manche Flüchtlinge, die in Stuttgart ihren Schulabschluss oder eine Ausbildung machen, erhalten von der Stadt Leistungen in Bafög-Höhe.

StuttgartSeine erste Reaktion sei Wut gewesen, schildert Mohamad (Name geändert) die Gefühle, die der Bescheid des Sozialamts bei ihm ausgelöst habe. Das Schreiben besagt, dass die finanziellen Leistungen an ihn deutlich gekürzt werden. „Ich war sauer“, so der 20-jährige Afghane, der eine Berufsfachschule besucht und in einem Jahr die Mittlere Reife ablegen will, um einmal Fluglotse zu werden. Er kenne andere Flüchtlinge in seinem Alter, die gar nichts täten oder die lediglich einen Deutschkurs besuchten, sagt Mohamad, der mit Deutschen in einer Wohngemeinschaft wohnt. Er wolle sich integrieren, sagt der junge Mann. Nun fühlt er sich auf eine Art dafür bestraft. Bis November habe er zusammengerechnet 906 Euro von der Stadt erhalten: 495 Euro für Miete und Nebenkosten, 416 Euro zum Leben und 40 Euro für seine Fahrkarte zur Schule. Seit Dezember bekommt er nicht mehr Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz, sondern eine Freiwilligkeitsleistung von der Stadt. Diese orientiert sich am Schülerbafög und beträgt 504 Euro. Die Freiwilligkeitsleistung war im Februar 2018 vom Gemeinderat beschlossen worden.

Rund 300 Euro zum Leben

„Am Tag nach dem Bescheid habe ich eine Arbeit geschrieben, die ist komplett danebengegangen“, erzählt Mohamad. Er hatte nur eines im Kopf: Wie sollte er bloß von neun Euro im Monat leben, die ihm nach den Wohnkosten bleiben? Immerhin: Mitte Dezember 2018 wurde ihm Wohngeld für die Monate Dezember und Januar in Höhe von 382 Euro gewährt. Was ab Februar ist, wisse er nicht. Wahrscheinlich bekommt er aber weiter Wohngeld. Laut einer Auskunft der Stadt dürfen Auszubildende dieses neben der Freiwilligkeitsleistung beantragen. Bezögen sie eine gesetzliche Leistung, ginge das nicht.

„Auch mit Wohngeld wird das Existenzminimum nicht erreicht“, betont Asylpfarrer Joachim Schlecht. Aus verschiedenen Freundeskreisen für Flüchtlinge haben ihn eine Reihe ähnlich gelagerter Fälle erreicht, auch Auszubildende seien betroffen. Durchweg gehe es um Flüchtlinge, die nur eine Aufenthaltsgestattung hätten – vorwiegend aus Afghanistan und Gambia. Der AK Asyl unterstützt inzwischen sieben betroffene junge Männer und Frauen mit monatlich 100 Euro, was aber auf Dauer nicht gehe. Schlecht sieht zudem die Gefahr, dass ihnen das Geld als Einkommen angerechnet und wieder abgezogen werden könnte.

Auch Mohamad bekommt vom AK Asyl und von einem Freundeskreis Geld. Ohne diese Unterstützung hätte er trotz Wohngelds nur 301 Euro zum Leben, da er neben den 495 Euro für Miete und Nebenkosten auch noch 40 Euro für die Fahrkarte und eine 50-Euro-Rate für den Anwalt zahlt, der sein Asylverfahren bearbeitet. Ein deutscher Schüler, der 504 Euro Bafög bezieht und nicht mehr zu Hause wohnt, könne einen Härtefallantrag stellen, um aufstockende Leistungen zu erhalten, so Schlecht. Diese Möglichkeit hätten Asylbewerber wie Mohamad nicht. Und Roland Saur vom Freundeskreis Feuerbach betont, dass junge Flüchtlinge mit dem Lernen für die Schule und der deutschen Sprache ausgelastet seien; da bleibe keine Zeit, auch noch zu jobben. Er ist überzeugt, dass es der gesamten Gesellschaft schadet, wenn man diejenigen, „die sich engagieren wollen, hängen lässt“.

Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) verweist auf die komplexe Rechtslage, die je nach Fall unterschiedlich sei. Freiwilligkeitsleistungen erhielten ausschließlich nicht anerkannte beziehungsweise noch nicht anerkannte Geflüchtete. Laut einer qualifizierten Schätzung des Sozialamts zahlt dieses an 39 Auszubildende auf freiwilliger Basis Leistungen in Bafög-Höhe. Wie viele Flüchtlinge in schulischer Ausbildung und wie viele Hauptschüler die Freiwilligkeitsleistung bekommen, ist laut Wölfle bisher nicht ausgewertet worden.

Der Gemeinderat hatte die Freiwilligkeitsleistungen beschlossen, um eine Förderlücke zu schließen. Eigentlich müsste die Stadt nicht zahlen. Der Bund müsste für eine Verbesserung der Ansprüche von geflüchteten Schülern und Azubis sorgen. Andere Kommunen, so Flüchtlingshelfer Saur, warteten nicht auf den Bund: In Esslingen und Göppingen etwa würde das Existenzminimum gezahlt. Wölfle findet, dass man in Stuttgart mit den bisherigen Regelungen schon Beachtliches erreicht habe. Weitere Verbesserungen müssten aus dem Rat kommen. Der Sozialausschuss befasst sich auf Antrag der SPD erneut mit dem Thema.