Anna Mielczarczyk inmitten von Kleiderbergen. Foto: Lichtgut/Julian Rettig - Lichtgut/Julian Rettig

Anna Mielczarczyk hat auch dieses Jahr wieder Helfer aktiviert und Kleiderspenden gesammelt. Diese wurden vor der Leonhardkirche in Stuttgart an Bedürftige verteilt.

StuttgartHandschuhe oder Schal?“, ruft Anna Mielczarczyk einer älteren Frau zu. Die Frau kann beides brauchen. Und gerne auch eine Mütze, denn vor der Vesperkirche ist es ziemlich frostig an diesem Samstagmorgen. Nach einer Stunde ist der erste Andrang aber noch lange nicht vorbei. Im Gegenteil: Die als Abschrankung gedachten Bänke werden kaum noch beachtet. Die Bedürftigen wollen selbst ran an die Kisten mit Kleidung, die sich schon bald offen verteilt auf dem Boden stapelt. „Tausende Stücke“ seien das wohl, sagt Mielczarczyk, die die Kleiderspende für Obdachlose nun zum zweiten Mal organisiert hat. 2018 noch ohne Anmeldung, was dann von der Polizei unbürokratisch toleriert wurde. Dieses Jahr läuft die Aktion eines Nachbarschaftskreises aus der Gegend von Waiblingen offiziell angemeldet unterm Dach einer Beutelsbacher Freikirche. Ein Freund habe sie vor zwei Jahren zu einem besonderen Essen eingeladen: in die Vesperkirche, die sie bis dahin noch nicht gekannt hatte. Danach habe sie zu Freunden gesagt: „Kommt, lasst uns was Gutes tun! Aus christlicher Nächstenliebe.“ Und so hat die 49-Jährige auch dieses Jahr wieder Menschen aktiviert und Kleiderspenden gesammelt. So viel sei dabei zusammengekommen, dass sie eine Woche lang mit dem Sortieren beschäftigt waren. Mit 15 Helferinnen und Helfern ist sie vor Ort, um die Verteilung zu bewerkstelligen. Ein richtiges Pfund im Fundus: Winterjacken in sehr guter Qualität. Fast 200 Stück, die sie einer Kooperation mit dem Handball-Bundesligisten TVB Stuttgart verdanken. Der Deal: Wer beim letzten Heimspiel eine Jacke spendierte, bekam zwei Freikarten fürs nächste Spiel. Deshalb ist auch der Außenspieler Sascha Pfattheicher vor Ort, verteilt Obst und Schokolade und ist „überrascht, dass es so viele sind, die was brauchen“. Es sei lehrreich, das zu sehen: „Damit man auf dem Boden bleibt und zu schätzen weiß, wenn es einem selbst gut geht“, sagt der 21-Jährige. Ob das aber nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sei? „Hier zählt der einzelne Mensch, der etwas Nützliches findet. Darauf kommt es an“, sagt er.

Hemden, eine Hose und Unterwäsche zum Beispiel für Thorsten, der seit zwei Jahren „auf Platte“ ist: „Kleine Dinge, die mich über den Tag glücklich machen“, sagt er. Einen Schlafsack und einen dicken Strickpullover hat Frank Ocker aus Bonlanden ergattert. Seit 14 Jahren ist er als Zimmermann auf der Walz, war auch in Asien und Australien. Er hat viel zu erzählen: „Es ist krass, wie ungleich die Ressourcen verteilt sind“, sagt er: „Ein paar Zehntausend stopfen sich die Taschen voll, und Abermillionen gucken in die Röhre.“ Er ist so ins Gespräch vertieft, dass er gar nicht merkt, wie ihm sein Pullover abhanden kommt, was er so kommentiert: „Das wird jemand gewesen sein, der ihn noch mehr braucht als ich.“