Quelle: Unbekannt

Die vom Verfassungsschutz beobachtete Scientology-Organisation versucht von ihrer neuen Repräsentanz in Stuttgart aus mit massiven Werbemitteln neue Mitglieder zu gewinnen.

StuttgartDer Fragebogen, den Tausende Stuttgarter in den vergangenen Wochen in ihren Briefkästen gefunden haben, hat es in sich. Man könne sich mit dem kostenlosen Persönlichkeitstest „selbst erkennen“, heißt es darin. Die Methode wird Oxford Capacity Analysis genannt – was auf den ersten Blick sehr wissenschaftlich klingt. Schaut man genauer hin, sieht man, von wem die Flyer stammen: von Scientology. Die Organisation bezeichnet sich selbst als Religion, wird von Aussteigern und Kritikern aber Sekte genannt. Der Verfassungsschutz beobachtet Scientology seit Langem.

200 Fragen werden in dem Papier aufgelistet. Wer sie beantwortet, wird eingeladen, zum Gespräch vorbeizukommen. Vorher gilt es, einiges zu klären. So heißt es da zum Beispiel: „Blättern Sie einfach zum Vergnügen in Eisenbahnfahrplänen, Telefonbüchern oder Wörterbüchern?“ Oder: „Würden Sie ein zehn Jahre altes Kind körperlich züchtigen, wenn es sich weigerte, Ihnen zu gehorchen?“

Mit Sauna und Kapelle

Die Flyeraktion gehört zu einer neuen Offensive von Scientology. Denn die Organisation hat im vergangenen Jahr nach jahrelangem Stillstand ihre neue Stuttgarter Repräsentanz an der Heilbronner Straße eröffnet. Ein großer Hochglanz-Komplex, der die seit Jahren eher schwächelnde Gemeinschaft wieder ins Blickfeld rücken soll. Auf einer Fläche von 7200 Quadratmetern gibt es ein Informationszentrum mit über 500 Filmen, einen Buchladen, eine Akademie und Kapelle, ein Café, ein „Reinigungszentrum“ mit Fitnessstudio, Sauna und Ernährungsprogramm. Zur lange geheim gehaltenen Eröffnung mit Hunderten Anhängern im vergangenen September reiste sogar David Miscavige an, das sogenannte kirchliche Oberhaupt von Scientology. Er sprach in seiner Rede von „Deutschlands größter Scientology-Kirche“ und „einem Zuhause, das zu diesem Anker der Nation passt“.

In der Tat gilt Baden-Württemberg als eine Region, in der Scientology noch relativ stark aktiv ist. Das Landesamt für Verfassungsschutz geht davon aus, dass es im Südwesten rund 800 Anhänger gibt, davon lebt der Großteil im Stuttgarter Raum. Die Organisation selbst spricht immer von deutlich höheren Zahlen und einem stetigen Wachstum seit 1972. Zuletzt war sie laut den Behörden aber eher im Schrumpfen begriffen. Die Verfassungsschützer werten das neue Gebäude deshalb auch als einen Versuch, dieser Entwicklung gegenzusteuern. Dazu gehört, jetzt in die Offensive zu gehen. „Den Eindruck, Scientology sei in den vergangenen Monaten verstärkt aktiv, können wir bestätigen“, sagt ein Sprecher des Landesamts für Verfassungsschutz. Seit Eröffnung des Zentrums habe es verschiedene Aktivitäten gegeben. So betreibe die Organisation neben der Flyeraktion regelmäßig Informationsstände, zuletzt offenbar verstärkt auch in Bad Cannstatt.

Im Internet wirbt Scientology mit den neuen Räumen. Dort werden Interessierte eingeladen, zur kostenlosen Führung in das Gebäude zu kommen. Dazu gehören „interaktive Multimedia-Displays“ und zur letzten Überzeugung auch „Erfrischungen“. Auf der Homepage heißt es, man wolle von hier aus „unsere Hilfe und unsere Mittel auf ganz Baden-Württemberg ausdehnen“. Mancher versteht das als Drohung.

Stadt machtlos gegen Stände

Laut Scientology wirkt diese Werbung an prominenter Stelle. „Die Zahl der Besucher, die sich bei der Scientology-Gemeinde Baden-Württemberg informieren und dann auch Einführungsdienste belegen, ist um das Fünffache gestiegen“, sagt Hubert Kech, Präsident der Stuttgarter Scientology-Organisation. Auch „Personen aus der Öffentlichkeit“ kämen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Viele Besucher seien positiv überrascht, die Einführungsvideos im Erdgeschoss fänden reges Interesse. Eine regelrechte Offensive will er freilich nicht bestätigen: Flyer habe man in Stuttgart schon seit jeher verteilt. Beschwerden über die Faltblätter liegen bei der Stadt bislang nicht vor. Sie könnte auch gar nicht dagegen einschreiten. Allerdings gibt es immer wieder Ärger bei Bürgern wegen der Infostände. Die Stände werden dann auf Einhaltung der Regeln überprüft. Verbieten kann die Stadt aber auch sie nicht. Falls das jemanden betrübt, gibt es auch dazu eine passende Frage in den Scientology-Faltblättern: „Können Sie eine Niederlage leicht hinnehmen, ohne Ihre Enttäuschung hinunterschlucken zu müssen?“