31.7.2019 Im Fasanenhof ist ein Mann auf offener Straße erstochen worden. Der Täter ist geflohen.

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Fünf Monate, nachdem ein Mann in Fasanenhof mit einem Schwert getötet worden ist, liegt die Mordanklage gegen den 30-jährigen Issa M. vor. Was ist von dem Prozess zu erwarten?

StuttgartWar der dramatische Schwertmord in Stuttgart-Fasanenhof das Werk eines psychisch Kranken? In blinder Wut, auf offener Straße, ohne sich von Zeugen beeindrucken zu lassen, hat ein Mann mit einem Samuraischwert dort am 31. Juli einen 36-jährigen Familienvater förmlich niedergemetzelt. Die Mordanklage der Stuttgarter Staatsanwaltschaft verrät nunmehr, dass die Ermittler und Gutachter nicht glauben, dass der Täter im Wahn gehandelt hat. Dem Landgericht liegt nach Informationen unserer Zeitung bereits seit dem 20. Dezember eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wegen Mordes vor. Eine Anklageschrift wohlgemerkt, keine Antragsschrift auf Unterbringung in der Psychiatrie. Die grausamen Szenen, die per Handyvideos in den sozialen Netzwerken verbreitet worden waren, hätten eine Psychose vermuten lassen können. Doch bei der psychiatrischen Begutachtung, so ist zu hören, gibt es außer Anhaltspunkten keinen eindeutigen Befund.

Herr seiner Sinne

Nach bisherigem Stand der Dinge scheint der Beschuldigte bei der Tat also eher noch Herr seiner Sinne gewesen zu sein. Nach Auffassung der Anklagebehörde ist der Tatbestand des heimtückischen Mordes erfüllt. Heimtücke liegt vor, wenn das Opfer arg- und wehrlos war und nicht mit einem Angriff rechnen musste oder konnte. Der Angeschuldigte Issa M. ist eine schillernde Figur. Offiziell lebte er seit 2015 als syrischer Flüchtling in Deutschland. Von Juni 2018 bis April 2019 lebte er in einem Wohnhauskomplex in Fasanenhof in der Fasanenhofstraße – in einer Wohngemeinschaft, in der auch der 36-Jährige, das spätere Opfer, zur Miete lebte. Im November 2018 hätte der Aufenthaltsstatus von Issa M. überprüft werden sollen. Dazu kam es nie. Unsere Zeitung enthüllte, dass Issa M. nicht etwa ein 28-jähriger Syrer, sondern ein 30-jähriger Palästinenser aus Jordanien ist – und dies auch in sozialen Netzwerken offenbart hatte – mit einem salafistischen Gedankengut und archaischen Zitaten. „Mit jedem Atemzug kommen wir dem Tod näher, vertraue auf Gott“, schrieb er Stunden vor der Tat. Ob sich hier ein fanatisches Weltbild bei einem persönlichen Streit Bahn gebrochen hat – diese Frage war auch in Polizeikreisen umstritten; zumindest die Frage, bis in welche Tiefe dies überhaupt ermittelt werden sollte.

Nichts Verlässliches erfahren

Die Staatsanwaltschaft hat ihre Anklage am Donnerstag offiziell verkündet. „Das genaue Motiv für die Tat blieb letztlich aber unbekannt“, sagt Staatsanwaltssprecher Heiner Römhild. Um was es genau gegangen sein soll, darüber haben die Ermittler von Issa M. offenbar nichts Verlässliches erfahren. Römhild vermutet das Motiv „am ehesten im zwischenmenschlichen Bereich“. Dabei hält sich die Anklagebehörde noch bei der Frage einer möglichen eingeschränkten Schuldfähigkeit des 30-Jährigen ein Hintertürchen offen: „Das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen steht noch aus“, sagt er. Und bis zum Prozess wird es hier wohl auch kaum neue Erkenntnisse geben: „Die Frage wird wohl erst im Rahmen der Hauptverhandlung zu klären sein“, sagt Römhild. Landgerichtssprecher Christoph Buchert erklärt, dass mit einem Prozess vor der 9. Strafkammer voraussichtlich noch vor dem Sommer zu rechnen sei. Der renommierte Verteidiger des 30-Jährigen, Achim Wizemann aus Stuttgart, rechnet nicht vor April mit dem Auftakt des Prozesses. Irgendwo dazwischen dürfte die Kammer unter dem Vorsitzenden Richter Jörg Geiger und seinem Stellvertreter Uwe Tetzlaff wohl ihre Termine im Kalender festlegen.

Der 9. Strafkammer des Landgerichts sind menschliche Abgründe und spektakuläre Bluttaten und Tragödien nicht fremd. Da ist etwa der Mord auf dem Pragfriedhof im September 2015, als eine 21-Jährige von einem 30-jährigen Bekannten erschlagen und tags darauf von einem Friedhofsgärtner entdeckt wurde. Oder die tödliche Messerattacke im Mai 2016 in einem Wohnheim für ehemalige Straffällige im Stuttgarter Osten, bei der eine Freundin des 26-jährigen Opfers die Bluttat live am Handy mithören musste.

Mit Gesetzen nicht einverstanden

Oder der aufsehenerregende Prozess um eine Neckarleiche – eine 72-jährige Frau, die im September 2017 verschwunden war. Ein heute 77-Jähriger beteuerte bis zuletzt seine Unschuld, legte Revision ein. Das Urteil von sechs Jahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge ist bis jetzt nicht rechtskräftig. Revision war auch die Reaktion eines 29-Jährigen, der wegen Mordes in einem Mietshaus im Stuttgarter Osten im Dezember des Jahres 2017 zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Der Mann hatte schon zum Auftakt erklärt, dass er mit den hiesigen Gesetzen nicht einverstanden sei.

Mordmerkmale

Heimtücke: Sie ist gegeben, wenn das Opfer arg- und wehrlos war, wenn es also mit einem Angriff nicht gerechnet hat und nicht hat rechnen müssen.

Niedrige Beweggründe: Darunter fallen Mordlust, Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, das Verwenden eines gemeingefährlichen Mittels, aber auch Mord wegen übersteigerter Eifersucht und Mord aus Ausländer- oder Rassenhass. Habgier ist ebenfalls ein niedriger Beweggrund. Im Fall des in Stuttgart verurteilten Fahrers eines gemieteten Jaguar wurde beispielsweise die Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels, sprich des Autos, als Mordmerkmal angeführt. Diese Ansicht der Staatsanwaltschaft hatte dann vor Gericht keinen Bestand.

Verdeckung: Auch Verdeckung und Ermöglichung einer Straftat sind Mordmerkmale. Ein solches ist für eine Mordanklage notwendig. Bringt ein Vergewaltiger sein Opfer um, damit es nicht gegen ihn aussagen kann, verdeckt er die vorhergehende Straftat, also die Vergewaltigung. Wer tötet, um eine andere Straftat erst möglich zu machen, begeht ebenfalls einen Mord.

Bei Mord sieht das Strafgesetzbuch zwingend die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe vor. (gs)