Stuttgart (wic) - Über vier Jahre hat die Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Vorstand der Stuttgarter Sozialstiftung „Nestwerk“ wegen Untreue, Betrug und anderer Delikte ermittelt. Gestern wurde das Verfahren gegen den jetzt 70-Jährigen vor dem Landgericht eröffnet. Es geht um einen Schaden in zweistelliger Millionenhöhe.

Die Stiftung „Nestwerk“, gegründet von einem Stuttgarter Anwalt im Jahre 1994, baute und verwaltete Sozialwohnungen, Frauenhäuser und Obdachlosen-Unterkünfte, zum großen Teil finanziert über Fördergelder der Stadt Stuttgart - die blieb später auf gut 4,6 Millionen Euro an Darlehen und Bürgschaften sitzen. Insgesamt verfügte die Stiftung im Jahre 2010, als sie Insolvenz anmeldete, über 329 Wohnungen.

Jetzt sitzt als einziger von drei Angeklagten der ehemalige geschäftsführende Vorstand auf der Anklagebank der 6. Großen Wirtschaftsstrafkammer. Seine Ehefrau, die als Buchhalterin der Beihilfe beschuldigt war, lebt nicht mehr. Ein weiterer ehrenamtlicher Stiftungsvorstand ist krankheitsbedingt verhandlungsunfähig.

102 Seiten umfasst die Anklageschrift gegen den Mann, vorgetragen von Staatsanwalt Andreas Köhler. Es geht um vorsätzliche Urkundenfälschung, Bankrott, Untreue, Betrug und Insolvenzverschleppung sowie Verletzung der Buchführungspflicht. Insgesamt sind 245 Einzelfälle aufgelistet. Der 70-Jährige soll in den Jahren 2007 bis 2010 Gelder aus der Kasse der Stiftung für sich privat entnommen haben. Dabei sei er laut Anklage recht raffiniert vorgegangen, habe Zahlungs-Urkunden gefälscht, um die Gelder abzuzweigen, Rechnungen gefälscht und Scheinrechnungen erstellt, um an Geld zu kommen. Schecks, die für die Stiftung vorgesehen waren, habe der Angeklagte für sich vereinnahmt, hält ihm der Staatsanwalt vor. Rechnungen verschiedener Autowerkstätten für den Privatwagen ließ er die Stiftung zahlen, ebenso andere private Verbindlichkeiten - Beträge zwischen einigen tausend Euro bis 511 000 Euro. Das Ganze gipfelte darin, dass er die mit Münzgeld betriebenen Waschautomaten in Wohnobjekten für Obdachlose plünderte und 13 000 Euro in Eimern zur Bank trug. Der Ankläger spricht von einem für das Nestwerk entstandenen „Vermögensverlust großen Ausmaßes“. 11,1 Millionen Euro, so die vorläufige Gesamtsumme, seien von ihm abgezweigt worden. „Warum“, fragt der Vorsitzende Richter Günter Necker. „Größenwahn? Gier?“, antwortet der Angeklagte. Wofür er das Geld ausgegeben habe, wisse er nicht mehr genau.

Der 70-Jährige ist bereits vorbestraft. Das Landgericht Mannheim hatte ihn 1990 wegen Urkundenfälschung und Bestechung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nach der Haftentlassung 1994 begann seine Karriere bei „Nestwerk“. Der damalige Gründer habe ihn gefördert. Zu den Tatvorwürfen sagte er gestern vor Gericht: „Es tut mir aufrichtig leid.“ Er wolle sich bei allen entschuldigen, die durch ihn Schaden erlitten hätten. Das Geld wird er jedoch wohl nie zurückzahlen können.

Da das Verfahren erst jetzt erfolgt, ist nicht auszuschließen, dass der Beschuldigte aufgrund der Verjährung einiger Taten nicht mehr allzu hart bestraft wird, beziehungsweise ein Teil der auszusprechenden Strafe schon als „verbüßt“ gilt. Ein Urteil soll erst Ende Januar nächsten Jahres gesprochen werden. Der Angeklagte befindet sich auf freiem Fuß.