Clemens Knorpp (links) bei seiner Weihe zum Priester im Eberhardsdom – die Zeremonie war sehr feierlich. Foto: Lichtgut/Horst Rudel - Lichtgut/Horst Rudel

Ein Spätberufener ist einer von sechs Neupriestern, die in Stuttgart geweiht wurden

Stuttgart Es liegt etwas Besonderes in der Luft im Eberhardsdom. Wer in die Gesichter der sechs Männer blickt, spürt es, sieht es. Sie sind ergriffen, in sich gekehrt. Ist es etwas Heiliges, das von ihnen Besitz nimmt? Wer kann das schon beantworten. Man müsste jeden Einzelnen der Männer fragen, was ihn bewegt. Warum werden sie Priester? Und im Fall von Clemens Knorpp: Warum erst jetzt – mit 44?

Knorpp überlegt lange. So wie er immer lange überlegt, bevor er etwas sagt. Er ist keiner, der mit Sprüchen glänzt. Es scheint, als wolle er immer ganz normal wirken. Nicht als katholischer Superstar. Das überlässt er seinem obersten Chef, dem Papst, dem Helden in Wim Wenders’ Kinofilm. Also sagt Knorpp, der in Riedenberg lebt, knapp: „Es gab ihn nicht – diesen einen Moment der Erweckung.“ Freilich ist da die Sozialisierung: der Vater evangelisch, die Mutter katholisch, beide Mediziner und prägend für Knorpps Glauben. Aber entscheidend sei etwas anderes gewesen. Er bemüht das Bild der inneren Berufung. „Es war schon immer da, es ist nur mehr und mehr in mein Bewusstsein getreten“, erzählt er.

Es ist, als ob sich eine Sache verdichtet. Als ob der Druck wachse, der Glauben in einem „anderen Licht“ erscheine. Und bei Knorpp ist es wie bei vielen Menschen. Scheinbar zufällige Begegnungen stellen die Weichen neu. Bei ihm ist es ein Freund, ein Pfarrer aus Fellbach, der seinen Kompass 2009 neu ausrichtet, den Blick auf die Welt neu justiert. Plötzlich fragt sich der Magister der Geschichte, Politologie und Volkswirtschaft, was die Welt zusammenhält. Was für eine Rolle spielt der Mensch in diesem Gefüge von Gott und der Welt?

So gesehen sind die weiteren Erfahrungen nur noch eine Bestätigung, künftig den Weg als Geistlicher zu gehen. In dieser Zeit arbeitet Knorpp als Finanzberater. „In diesen Gesprächen über Geldaspekte mit den Kunden wurde mir klar: Da fehlt doch etwas Wesentliches. Das kann nicht mein Weg sein.“ Und weil Gebet auch Hören ist, hört der Mann in den besten Jahren in sich hinein, auf die Stimme Gottes, und sieht dann ganz klar: „Das Gefühl war so deutlich. Mich zieht es dahin, Priester zu werden.“ Der Spätberufene zieht im Sommer 2010 ins Tübinger Wilhelmsstift, studiert und geht von nun an noch stärker den Weg im Namen von Jesus Christus. Er macht das Hineinhören zu seiner Kraftquelle: „Seitdem ist es immer so, wenn ich nach innen höre: Ich weiß, dass ich diesem Gefühl vertrauen kann.“

Vielleicht hilft ihm diese Kunst des Zuhörens auch bei seiner Berufung: Menschen im Glauben zu begleiten und zu stärken. Ob er jemals ein guter Priester sein wird? Wieder lässt sich Knorpp Zeit mit der Antwort. „Ich bin neugierig, was kommt.“ Soll heißen: Wie schon immer in seinem Leben will er allmählich wachsen. „Meine Hoffnung ist, dass ich unterschiedliche Menschen als Zeuge des Glaubens erreichen und ansprechen kann.“ Und zwar weniger mit „leeren Worthülsen“ als vielmehr durchs Vorleben.

Ein Leben in Keuschheit – ohne Familie, ohne Partner an der Seite. Für viele, auch innerhalb der katholischen Kirche, ist das eine überholte Lebensform, das Zölibat ein Wort aus einer anderen Zeit. Der Stuttgarter lächelt milde, wenn er es ausspricht. „Es kann eine erfüllende Lebensform sein.“ Nach einer Pause ergänzt er: „Ich kenne Priester, die damit ein zufriedenes Leben führen.“ Und nach einer weiteren Denkpause: „Wenn man es aufheben würde, wären auch nicht alle Probleme der Kirche gelöst. Diese Lebensform setzt ein wertiges Zeichen, in dem man sein Leben Christus zur Verfügung stellt.“ Tatsächlich wäre das Ende des Keuschheitsgelübdes nicht der Anfang einer neuen Kirche, der die Menschen und Priesteranwärter plötzlich in Scharen zuliefen. Zu viele Dogmen und Regeln dieser römisch-katholischen Kirche werden in der Gesellschaft kontrovers diskutiert – die Rolle der Frau, Homosexualität oder Verhütung, um nur ein paar Schlagworte zu nennen. Clemens Knorpp hat keine Probleme mit dem konservativen Gedankengut. Er ist weit davon entfernt, ein Reformer oder gar ein Revoluzzer zu sein. „Die Kirche ist ein großer Tanker, es kommt auf den einzelnen Menschen an“, sagt er unverbindlich, „all diese Themen sind zwar nicht auf ewig in Stein gemeißelt, haben aber eine eigene Stärke.“