Unrechtmäßig überwältigt: Szene vom Februar 2017 in der Stuttgarter Willy-Brandt-Straße. Foto: 7aktuell.de/Simon Adomat - 7aktuell.de/Simon Adomat

Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Beamten.Ermittler verraten jetzt, was sie in 15 Monaten herausfanden.

StuttgartHat Stuttgarts Polizei bald einen Beamten weniger? Das Skandalvideo mit vier prügelnden Polizisten hatte letztes Jahr bundesweit für Aufsehen gesorgt – nun, 15 Monate danach, erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen einen der beteiligten Polizisten. Dem heute 29-Jährigen wird gefährliche Körperverletzung im Amt sowie eine versuchte Verfolgung Unschuldiger vorgeworfen. Ihm droht der Rauswurf. Das Verfahren gegen die drei anderen Beamten wurde indes eingestellt. Die Staatsanwaltschaft bestätigte am Freitagmorgen entsprechende Informationen unserer Zeitung.

Erst war es nur ein spektakulärer Unfall. In jener Nacht zum 19. Februar 2017 war ein Mini-Cooper-Fahrer gegen 0.45 Uhr offenbar zu schnell in der Willy-Brandt-Straße unterwegs, rammte ein vorausfahrendes Auto und überschlug sich vor den Türen des Innenministeriums. Vier Leichtverletzte und 20 000 Euro Schaden, so die Bilanz. Doch dann kam das Nachspiel.

Zunächst galt der Polizist als Opfer

Am Rande der Unfallstelle geraten der damals 35-jährige Beifahrer des Mini und ein 28-jähriger Polizeibeamter in Streit. Offenbar geht es um eine Zigarette, die der Beifahrer neben dem Autowrack raucht und die er nicht ausmachen will. Schließlich kommt es zu einer Rangelei. In der Pressemitteilung der Polizei heißt es später, dass der Beifahrer tätlich geworden sei und der Polizist beim Sturz mit dem Kopf auf dem Bordstein aufschlug. Er habe dabei leichte Verletzungen erlitten. Gegen den 35-Jährigen werde wegen Widerstands ermittelt.

Doch schon tags darauf ermittelt das Dezernat für Amtsdelikte gegen die vier Beamten. Der 35-Jährige hat Anzeige gegen die 25 bis 31 Jahre alten Beamten erstattet. Wochen später taucht in den sozialen Netzwerken ein privates Handyvideo über den Einsatz auf – mit brutalen Bildern. Sie zeigen den 35-Jährigen, der von vier Polizisten mit vereinten Kräften zu Boden gerungen wird. Zwei Beamte halten ihn fest, ein weiterer schlägt mit dem Schlagstock mit voller Wucht gegen Kniekehlen und Gesäß. Der 28-Jährige versetzt dem Mann mehrere Faustschläge.

Mit Verspätung erfährt Polizeipräsident Franz Lutz von den Vorgängen. Er sei über die Bilder erschrocken gewesen, sagt er im April 2017, leitet gegen den Beamten mit den Faustschlägen und den mit dem Schlagstock ein Suspendierungsverfahren ein. Dann kehrt Ruhe ein – bis es im Herbst 2017 eine überraschende Wende gibt. Im September ist zu hören, dass drei der vier Beamten letztlich gar nichts vorzuwerfen sei. Sie seien ihrem Kollegen nur zu Hilfe geeilt und hatten annehmen müssen, dass die Festnahme zurecht erfolgte, heißt es in Ermittlerkreisen. „Es gab dienstrechtlich keinen völligen Vertrauensverlust in die Beamten“, sagt Polizeisprecher Stefan Keilbach, „deshalb wurden die beiden Suspendierungen wieder aufgehoben.“

An einem aber bleibt alles hängen. Der heute 29-Jährige wird um seinen Job bangen müssen. Nicht nur, weil eine Festnahme nach Auffassung der Staatsanwaltschaft gar nicht gerechtfertigt war. Die strittige Brandgefahr habe gar nicht mehr bestanden, hieß es. Dass er den Betroffenen zu Boden zu bringen versuchte, „geschah also ohne Grund“, sagt Staatsanwaltssprecher Heiner Römhild. Die anderen Beamten hätten nur das erfolglose Bemühen des Kollegen gesehen. „Im falschen Glauben, ihn bei der Durchsetzung einer rechtmäßigen Diensthandlung zu unterstützen, kamen sie diesem zu Hilfe“, stellt Römhild fest. Dabei griffen sie zu rabiaten, aber grundsätzlich nicht unzulässigen Mitteln, um den vermeintlich hochaggressiven Verdächtigen niederzuringen. Das Verfahren gegen die drei Beamten wurde eingestellt.

Zweiter Vorwurf

Der 29-Jährige indes soll sich der gefährlichen Körperverletzung im Amt schuldig gemacht haben. Doch es gibt noch einen zweiten Vorwurf: Die Anklage legt ihm auch die versuchte Verfolgung Unschuldiger zur Last. In seiner dienstlichen Stellungnahme soll der Polizist noch Tage später den Fall so dargestellt haben, dass gegen den 35-Jährigen der Verdacht einer Straftat entstehen konnte. Mit der Lüge wollte der Beamte sein Fehlverhalten offenbar vertuschen – und den Spieß umdrehen. „Er hat also nicht nur sein offenbar fehlerhaftes Verhalten nicht eingesehen, sondern mit neuem Tatentschluss eine weitere Straftat begangen“, sagt Staatsanwalt Römhild. Der Mann ist derzeit nach einem Unfall krankgeschrieben.

Was dem Beamten blüht, lässt ein Urteil des Landgerichts vom Januar 2017 erahnen. Ein 37-jähriger Polizeihauptmeister und eine 32-jährige Polizeiobermeisterin hatten einen Verdächtigen in einem Parkhaus in der Innenstadt verprügelt. Dafür bekamen sie vom Landgericht Bewährungsstrafen von einem Jahr und vier, beziehungsweise einem Jahr und zwei Monaten verpasst – also jenseits der Schallmauer von einem Jahr. Sie wurden aus dem Dienst entfernt.

Ob und wann die aktuelle Anklage zugelassen und der Fall verhandelt wird, das entscheidet jetzt das Amtsgericht.