Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth - Lichtgut/Achim Zweygarth

Die Stadt Stuttgart steht vor hohen Ausgaben. Die Sanierung des Opernhauses steht an, eine Milliarde Euro soll dafür fließen. Keine einfache Aufgabe für OB Kuhn, dies zu vermitteln.

Die Sanierung der Oper samt neuem Kulissengebäude und Interimsoper ist auf eine Milliarde Euro veranschlagt. Wie wollen Sie das vermitteln?

Natürlich ist ’ne Milliarde Euro sehr viel Geld. Aber wir brauchen die Sanierung des Opernhauses für die Oper und das Ballett. Wir wollten nicht mit einem niedrigen Einstiegspreis kommen und dann ständig nachbessern müssen. So etwas sorgt für Politikverdrossenheit pur. Deshalb haben wir sehr ehrlich und realistisch gerechnet. So etwas wie bei der Elbphilharmonie, wo man mit 80 Millionen angefangen hat und bei 860 Millionen rausgekommen ist, soll hier nicht passieren. Lieber schwäbisch ehrlich als immer draufsatteln.

Viele misstrauen der Zahl trotzdem.
Kostensteigerungen wurden von vornherein miteingerechnet und ein Sicherheitspuffer gebildet. Da kann man sich drauf verlassen. Im Übrigen, die Sanierung für die Stuttgarter Oper und das Stuttgarter Ballett ist ja nicht nur ein Projekt für Stuttgart, sondern für ganz Baden-Württemberg, wie die Besucherzahlen zeigen. 40 Prozent der Besucherinnen und Besucher kommen aus Stuttgart selbst, 40 Prozent aus der Metropolregion, in der 5,5 Millionen Menschen leben, also die Hälfte der Baden-Württemberger, und die verbleibenden 20 Prozent aus anderen Landesteilen und darüber hinaus. Wir reden hier über ein kulturelles Highlight der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg. Und wie man weiß, ist die Kultur längst auch ein Standortfaktor.

Im Gemeinderat und im Landtag gibt es dennoch Kritik.
Dass jetzt politisch nachgefragt wird und Forderungen aufgestellt werden, das Land solle mehr als die vereinbarten 50 Prozent zahlen, gehört zum normalen politischen Meinungskampf. Am Ende möchte ich aber den sehen, der sagt, wir wollen das Opernhaus nicht sanieren. Ich jedenfalls gehe das Thema mit maximaler Offenheit und Klarheit an. Wir haben eine sehr gute Lösung gefunden. Für die Milliarde bekommen wir eine Perle, die dann wieder 100 Jahre lang glänzen kann. Hier geht es auch um eine historische Dimension.

Politik muss immer auch in Alternativen denken. Wenn Sie keine Mehrheit für das Projekt bekommen, was passiert dann?
Ich bin verliebt ins Gelingen, wie es Ernst Bloch sagte, und ich will uns den Schwung nicht nehmen durch die Erörterung von Plan-B-Szenarien. Die sehen nicht besser aus.

Sind aber vielleicht billiger . . .
Irrtum! Ein Opernneubau käme nicht billiger, sondern teurer, denn die Aufgabe der Sanierung des Littmannbaus bleibt ja bestehen. Und überdies entstünden in Zukunft laufende Kosten für zwei Häuser.

Bis wann wollen Sie den Grundsatzbeschluss im Gemeinderat erzielt haben?
Im ersten oder zweiten Quartal 2020. Ich halte die Opernhaussanierung jetzt für entscheidungsreif.

Sie wollen die Debatte aus dem OB-Wahlkampf raushalten?
Nein. Raushalten hieße, wir verschieben das bis nach der Wahl. Das wäre fatal.

Und wann soll alles fertig sein?
Wir könnten mit dem Wettbewerb und dann dem Bau der Ausweichspielstätte sehr rasch anfangen, die Flächen bei den Wagenhallen, wo sie entstehen soll, gehören der Stadt, die Konfliktpotenziale dort sind ausgeräumt. Wenn alle mitziehen, könnten wir in vier bis fünf Jahren mit der Sanierung im Littmannbau beginnen.

Und die dauert wie lange?
Alles in allem vielleicht acht Jahre, plus/minus.

Für den Neubau der John-Cranko-Ballettschule konnten Sie Porsche als Sponsor gewinnen. Kann das auch ein Modell für die Opernsanierung sein?
Selbstverständlich werden wir uns da auf den Weg machen. Die Oper in Kopenhagen wurde zum Beispiel von einem einzigen Mäzen finanziert. Es wäre toll, wenn vermögende Menschen in Stuttgart sich für ein so besonderes Projekt engagieren würden.

Wir leben in wirtschaftlich unsicheren Zeiten. Fürchten Sie nicht, dass Ihnen ein so teures Projekt auf die Füße fällt?
Man muss sehen, dass sich die Investition über einen Zeitraum von zehn, zwölf Jahren erstreckt. Außerdem hat die Stadt Stuttgart aus den guten Jahren schon 200 Millionen Euro für Kulturprojekte wie die Opernhaussanierung zurückgelegt.

Machen Sie sich Sorgen um das Wohlstandsniveau am Standort Stuttgart?
Ich habe die Hoffnung, dass wir nicht in eine fundamentale wirtschaftliche Krise hineinsteuern. Wichtig ist, dass die Transformation der Automobilindustrie, die zur Standortsicherung beitragen könnte, schnell genug gelingt. Ich bin da zuversichtlich. Stuttgart ist ein Powerhouse für die Forschung, da gibt es viel Potenzial. Aber es muss allen klar sein, dass der Wechsel hin zu emissionsfreien Fahrzeugen schnell gelingen muss. Wenn wir in eine echte Strukturkrise geraten, würde das den Wohlstand in der ganzen Region gefährden. Da müssen wir aufpassen. Deshalb bewerben wir uns als Stadt auch für die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA), die künftig einem neuen Konzept folgt und verstärkt neue Antriebstechniken und Mobilitätsformen zeigen will - gerade auch in einer Stadt. Wo soll man das besser machen als in Stuttgart!

Sie bewerben sich für die IAA 2021?
Ja. Das würde Stuttgart einen Schub für neue Verkehrssysteme geben. Auch bei den Themen autonomes Fahren, Elektrifizierung und Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien.

Wie sind die Chancen?
Ausrichter ist der Verband der Deutschen Automobilindustrie. Dahinter stehen die Automobilkonzerne. Wenn Daimler und Porsche die Bewerbung unterstützen, dann haben wir sicher gute Chancen.

Vor wenigen Tagen kam die Nachricht, Stuttgart sei bei den Mieten bundesweit an der Spitze. Wie gehen Sie damit um?
Die Zahlen über München sind so nicht belastbar, wie Sie selbst in Ihrer Zeitung geschrieben haben. Und in dieser Liste kommt erst ein Ort bei München, dann Stuttgart, dann Leinfelden-Echterdingen und dann wieder drei aus der Region München. Die Bestandsmieten sind in Stuttgart noch nicht so stark angestiegen. Es gibt viele Vermieter, die es nicht übertreiben wollen, wofür ich mich mal bedanken möchte. Bei den Angebotsmieten sind wir als Schwarmstadt vorne dran, mit München und Frankfurt, die übrigens wie verrückt bauen. Wenn wir die Äcker zubauen würden, würde es wohl preislich in Stuttgart trotzdem nicht besser. Wir können pro Jahr 2000 Wohnungen neu schaffen. Davon soll ein großer Anteil sozial gefördert sein. Die relevante Frage ist, ob ein normaler Beschäftigter die Chance hat, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Darauf konzentrieren wir uns. Wer 30 000 neue Wohnungen plakatiert, so wie die SPD, der muss die Felder zubauen. Aber dann ist Stuttgart nicht mehr Stuttgart. Ich finde es gut, dass die Stadt von einem grünen Ring umgeben ist. Wir verändern aktuell die Bodenpolitik, kaufen mehr, als wir verkaufen, wir wollen möglichst viel in eigener Hand haben.

So etwas wie der Verkauf von 21 500 Wohnungen 2012 an die Patrizia AG wäre heute nicht mehr denkbar?
Nein, das war ein schwerer Fehler. Wenn man Wohnraum in öffentlicher Hand halten kann, muss man dies tun. Die Stadt hätte damals ihr Angebot nachbessern sollen.

Wie stark macht sich das Wohnungsthema bemerkbar, wenn die Stadt dringend benötigte Mitarbeiter sucht?
Alle Städte in Deutschland tun sich schwer, Personal zu finden. Es wäre gut, wenn wir mehr bezahlbare Wohnungen hätten, die Hälfte unserer Mitarbeiter wohnt in der Region und pendelt. Wir tun an allen Ecken und Enden etwas für unsere Attraktivität, bilden aus, bieten das Jobticket an, denn wir haben ein starkes Personalwachstum und stehen dabei in Konkurrenz zu anderen Städten. Die Unterbringung in guten Büros können wir noch steigern, dazu würden wir gern ein größeres Behördenzentrum bauen.

Wenn man Sie reden hört, verdichtet sich der Eindruck, dass Sie die Themen über 2020 hinaus als Oberbürgermeister verfolgen wollen.
Ob ich mich 2020 noch einmal zur Wahl stelle, erkläre ich am 7. Januar. Dabei bleibt es.

Ein Kandidat hat sich schon vorgewagt, der 29-jährige Marian Schreier, Bürgermeister von Tengen. Was sagen Sie dazu?
Demokratie lebt davon, dass viele Bewerber kandidieren. Ich kenne Herrn Schreier nicht, die SPD muss entscheiden, ob sie es mit ihm machen will. Meine Maxime in Wahlkämpfen ist immer gewesen, dass ich mir die Stärken anderer zunächst anschaue und genau prüfe, wo meine Schwächen liegen könnten. Und natürlich meine Stärken . . .

Das Interview führten Joachim Dorfs, Jan Sellner, Konstantin Schwarz und Christoph Reisinger.