Die Königsloge rotiert: Clemens Weissenburger erklärt, wie die Drehteller funktionieren. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth - Lichtgut/Achim Zweygarth

In einer Woche feiert das Musical „Anastasia“ in Stuttgart seine Deutschland-Premiere. Die Proben laufen auf Hochtouren. Bühnenbild und Kostüme stehen bereit.

StuttgartEin Gefühl „wie kurz vor Weihnachten“ beschleicht Jürgen Langerfeld, wenn er zurzeit durchs Stage-Palladium-Theater geht. In einer Woche, am 15. November, hat in Möhringen „Anastasia – das Broadway Musical“ seine Deutschland-Premiere. Und Langerfelds Job als Sprecher der beiden Stuttgarter Theater von Stage Entertainment ist es an diesem Mittwoch, der Presse zu zeigen, dass das Bühnenbild und die Kostüme für die erste Vorstellung bereit sind.

Auch bei den Proben läuft offenbar alles im Zeitrahmen. Der anfängliche „Ameisenhaufen“, wie ihn der Produzent für den Aufbau der Show, Moritz Scherberich, nennt, hat sich geordnet. Inzwischen proben die Darsteller und Tänzer alle auf der Bühne, die Musiker im Orchestergraben. „Wir gehen jeden Tag einen Riesenschritt weiter“, sagt Scherberich. Er gesteht aber auch, dass nicht alles immer rundläuft. „Jeden Tag passiert was – das gehört dazu.“

So musste kurz vor dem Presserundgang noch eine der 430 Kacheln der LED-Wand ausgetauscht werden. Sie ist bei Anastasia sozusagen die Wunderwaffe des Kulissenumbaus. Im Arbeitslicht sieht man zunächst nur einen recht simplen Aufbau: hohe Bogenfenster mit Sprossen und darüber ein verschnörkelter Goldrahmen, gekrönt vom Wappen mit dem Doppeladler und umrahmt von Fabergé-Eiern und Straßenlaternen. Auf der Bühne treffen die klassischen Requisiten wie das Hotelbett oder der Zugwaggon auf modernste Videotechnik: Die 430 Kacheln ergeben eine imposante Rückwand von zwölf mal acht Metern, mehrere Tonnen schwer. Sie nimmt die Besucher mit ins Winterpalais der Zarenfamilie, kurz vor der Oktoberrevolution, wo die Schneeflocken hinter den Fenstern tanzen, oder in die Pariser Oper, wo gerade das Ballett „Schwanensee“ aufgeführt wird. Auf drei Drehtellern wandelt sich die eigentliche Kulisse, etwa um reich verzierte königliche Logen zu zeigen.

„Statt große Wände von der Seite hereinzuschieben, kreieren wir den Raum mit Video und Licht“, erklärt Clemens Weissenburger, der Technische Leiter des Produktionsaufbaus. Beispielsweise nimmt die Kamerafahrt die Hauptdarstellerin Anja und die Zuschauer mit hinein ins abendliche Paris, schwenkt von der Kirschblüte auf den hell erleuchteten Eiffelturm. Die Technik ersetze zwar die aufwendigen Einbauten früherer Produktionen und mache so schnellere Bildwechsel möglich, aber sie bedeute auch mehr Arbeit im Vorfeld, stellt Weissenburger klar. „Das muss ja alles programmiert werden.“ Aber beim Theater stehe weiterhin das Live-Erlebnis im Mittelpunkt: „Wir wollen nicht wie Kino sein.“ In der Kostümabteilung setzt man nach wie vor auf traditionelles Handwerk. 18 Werkstätten, von der Schneiderei bis zum Hutmacher, hätten für Anastasia gearbeitet, sagt Reto Tuchschmid, der als „Associate Costume Designer“ für das Kostümbild verantwortlich ist. Er steht in den sogenannten Black Boxen hinter der Bühne, wo nachmittags jeweils die Kleider und Accessoires bereitgestellt werden, die für denselben Abend benötigt werden.

„Das ist eine wunderbare Show für eine Kostümtante wie mich“, schwärmt Tuchschmid. Er meint damit die Bandbreite der Kleider, die von der simplen Volkskutte über die kantigen grünen Uniformen der Revolutionäre bis zur Pariser Haute Couture der 20er-Jahre und zu den opulenten Roben der Zarenfamilie reicht. Dahinter steckt freilich auch viel Arbeit – zumal alle für die Produktion Verantwortlichen quasi zeitgleich für Stuttgart wie für die Europa-Premiere vorigen Monat in Madrid gearbeitet haben. „Wir haben eine fünfmonatige Bestellorgie hinter uns, vom Knopf bis zur Borte“, sagt Tuchschmid.

Die Kleider sollen – wie auch das Bühnenbild – möglichst genau gleich aussehen wie die der Broadway-Inszenierung. So wurden fast alle Stoffe aus den USA nach Deutschland eingeführt, der Rest in Handarbeit nachgefertigt. Teuerstes Stück ist eine rote Traum-Robe, deren Wert Tuchschmid auf 12 000 bis 16 000 Euro schätzt. Sein Lieblingskleid ist das blaue, das auch in der Filmfassung zu sehen ist und von einer Perlenstickerin aus London über und über mit blitzenden Kunststeinen verziert wurde.