Kabelverleger bei der Arbeit. Foto: dpa - dpa

Der Vertrag über den Glasfaserausbau in der Region Stuttgart wird unterzeichnet. 1,6 Milliarden Euro sollen investiert werden. Die Politik jubelt, doch es gibt auch Kritik.

StuttgartDer Aufmarsch an diesem Freitag wird enorm sein. Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Vize Thomas Strobl kommen, der Vorstandschef der Deutschen Telekom Dirk Wössner, Landräte, Regionsvertreter, Oberbürgermeister et cetera. Anlass ist die Unterschrift unter den Vertrag zum Glasfaserausbau zwischen der Gigabit Region Stuttgart GmbH und der Telekom. Aber es gibt auch Proteste. Vor der Fellbacher Schwabenlandhalle wollen Bürgerinitiativen demonstrieren. Wir zeichnen den Weg zum Vertrag nach.

Warum wurde die Region aktiv?

Am Anfang stand eine peinlich-anschauliche Geschichte: Um die Daten für einen Animationsfilm in die USA zu schicken, mussten die Macher zur Universität nach Stuttgart-Vaihingen, weil nur dort die Übertragung ausreichend leistungsfähig war. Deutschland, auch die wirtschaftsstarke Region Stuttgart, hinkt im internationalen Vergleich der Entwicklung hinterher, weil die Telekommunikationsunternehmen zunächst darauf setzten, bestehende Kupferkabel leistungsfähiger zu machen. Das kostete weniger und brachte höhere Profite. Die Digitalisierung – Stichworte: Wirtschaft 4.0, Internet der Dinge, autonomes Fahren, Smartcitys – erfordert künftig Netze, in denen große Datenmengen in Sekundenschnelle transportiert werden.

Was wurde gemacht?

Der Verband Region Stuttgart hatte sich überlegt, ein sogenanntes Backbone-Netz mit leistungsfähiger Glasfaser selbst zu installieren, von dem aus sich einzelne Gebiete anschließen lassen. Doch die Kosten wären hoch gewesen, dafür gab es politisch keine Mehrheit. Deshalb machte die Region eine Marktabfrage, ob und wie sich Unternehmen eine Zusammenarbeit bei Bau und Betrieb eines flächendeckenden Glasfasernetzes vorstellen könnten. Dabei meldeten zwölf Firmen ihr Interesse an, mit dreien gab es Verhandlungen: Telekom, Vodafone und Netze BW/Netcom BW (Tochter der EnBW). Die Telekom erhielt den Zuschlag. Im Juli 2018 wurde eine Absichtserklärung unterzeichnet.

Was ist seither passiert?

Die Telekom hat nach eigenen Angaben Kontakt zu den Kommunen aufgenommen, 173 der 178 Kommunen in den Kreisen sind einem der Zweckverbände beigetreten. Für sie werden Verträge über Ausbaupläne und ihre Finanzierungsbeteiligung ausgearbeitet. In sechs Kommunen erprobt die Telekom bereits das Verfahren: Allmersbach im Tal (Rems-Murr-Kreis), Bempflingen (Kreis Esslingen), Ditzingen (Kreis Ludwigsburg), Deggingen-Reichenbach im Täle (Kreis Göppingen), Weil der Stadt (Kreis Böblingen) sowie im Stuttgarter Stadtbezirk Bad Cannstatt. In Allmersbach und Deggingen ist bereits klar, dass Glasfaser verlegt wird, weil ausreichend Vorbestellungen eingegangen sind. In den übrigen Orten ist das Interesse bis jetzt geringer.

Was sagen die Kommunen?

Vor allem die Oberbürgermeister großer Städte fremdeln mit dem Partner Telekom. Böblingen, Sindelfingen, Schorndorf, Göppingen und Wangen lehnen eine Zusammenarbeit ab. Aber auch von denjenigen, die mitmachen, „sind die meisten mit der Faust in der Tasche der Kooperation beigetreten“, sagt der Esslinger OB Jürgen Zieger. Städte und Gemeinden würden zur Mitfinanzierung des Glasfaserausbaus verpflichtet, obwohl „Breitbandausbau keine originäre Aufgabe der Kommunen ist“. Sie müssten nun für das Markt- und Politikversagen bezahlen, für das auch die Telekom und der Bund verantwortlich seien – und das aus dem „einstigen Wirtschaftswunderland ein Glasfaserentwicklungsland gemacht hat“. Die OB Andreas Hesky (Waiblingen) und Michael Makurath (Ditzingen) befürchten, dass der kommunale Finanzierungsanteil manche Gemeinde überfordern könnte. Und Richtung Telekom sagt Hesky: „Nun muss der Partner zeigen, dass alles Gold ist, was magentafarben glänzt.“

Was sagt die Wirtschaft?

In einer Umfrage der IHK Region Stuttgart im Jahr 2018 bei 640 Unternehmen wurden Breitband und Mobilfunk als die wichtigsten Standortfaktoren genannt. Die momentane Zufriedenheit damit wurde mit 2,7 benotet, deutlich schlechter als noch 2014 mit 2,2. IHK-Präsidentin Marjoke Breuning begrüßt die Zusammenarbeit und hofft, dass die Region „deutlich besser als bisher für die digitale Zukunft gerüstet ist“. Als größtes europäisches Industriezentrum würde die Region Stuttgart ohne leistungsfähige Breitband- und Mobilfunknetze immer mehr an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Was sagen die Kritiker?

Es gibt die grundsätzliche Kritik, die von verschiedenen Verbraucherschutz- und Umweltverbänden, aber auch der Linken vorgebracht wird: Das Glasfasernetz sei Daseinsvorsorge und gehöre deshalb allein in kommunale Hand. Zudem wird bemängelt, dass der 5G-Ausbau vorangetrieben werde, obwohl gesundheitsschädliche Auswirkungen durch die Strahlung nicht ausgeschlossen seien. Andere kritisieren die Ausrichtung auf die Telekom, die sich dadurch eine Monopolstellung sichere, obwohl sie bisher den Glasfaserausbau nicht vorangetrieben habe. Weiterer Kritikpunkt: Die Verträge würden geheim gehalten. Das widerspreche der von der Landesregierung, aber auch von einzelnen Städten angekündigten Transparenz und Bürgerbeteiligung beim Breitbandausbau.