Die Schildkröte Mister Big lebt in der Weilimdorfer Auffangstation. Foto: Olbort

Von Janey Olbort

Stuttgart - Das Schildkrötenmännchen streckt seinen Hals aus dem sandfarbenen Panzer, öffnet seinen spitzen Schnabel und verschlingt ein Löwenzahnblatt. Dann noch eines. Anschließend geht Mister Big gemächlich ein paar Schritte rückwärts und zieht sich in seine Höhle im Erdhügel zurück. „Schildkröten brauchen immer Verstecke, ansonsten sind sie gestresst“, sagt Christin Kern, Leiterin der Auffangstation in Weilimdorf. Deshalb ist das Gehege, in dem die afrikanische Landschildkröte Löwenzahnblätter verspeist, mit zahlreichen Verstecken ausgestattet. „Die Tiere können sich in kleine Häuschen aus Ziegelsteinen oder umgedrehte Weinkisten zurückziehen.“

Mister Big ist eine von 70 Schildkröten in der Weilimdorfer Auffangstation - 20 davon sind eigener Bestand. Kern versorgt seit zwölf Jahren Landschildkröten - verwahrloste Tiere, die von den Behörden beschlagnahmt oder beim Stuttgarter Tierheim in Botnang abgegeben wurden. „Ich pflege die Tiere nicht nur, sondern möchte auch aufklären.“ Deshalb veranstaltet sie Führungen, hält Vorträge und informiert auf Messen. „Wer eine Schildkröte aufnehmen möchte, erhält eine Führung durch die Station.“ So lernen Interessierte, wie artgerechte Haltung aussehen muss. „Besonders wichtig sind richtige Ernährung, ein artgerechtes Gehege, genug Licht und die richtigen Temperaturen.“ Häufig würden Schildkröten spontan angeschafft ohne entsprechende Kenntnisse. Eine Schildkröte wurde zum Beispiel jahrelang mit Linsen und Spätzle ernährt; eine andere im Wildschweingehege gefunden.

Mister Big hat seine Höhle wieder verlassen und bewegt sich gemächlich im Außengehege. Das eineinhalb Jahre alte Tier kann ausgewachsen bis zu 100 Kilogramm schwer werden. „Man benötigt genug Platz, um eine artgerechte Haltung zu ermöglichen. Ohne Garten geht das nicht“, sagt die Expertin.

Mister Big teilt sich sein Gehege mit Esmeralda. Die Schildkrötendame lebt seit fünf Jahren in Kerns Obhut - zuvor 13 Jahre lang in einem Keller mit dem Licht einer Glühbirne. „Sie kam schwer krank zu uns.“ Deshalb haben sich auf ihrem Panzer viele kleine Höcker gebildet „als sich der Körper die Nährstoffe, die normalerweise über das Licht und die Nahrung aufgenommen werden, aus dem Panzer gesogen hat.“

Damit die wechselwarmen Tiere genügend Wärme und Licht bekommen, die sie für den Stoffwechsel benötigen, gibt es in der Auffangstation zahlreiche kleine Gewächshäuser. „Unsere Sommer sind den Landschildkröten zu kalt und zu nass.“ Im Gewächshaus von Mister Big und Esmeralda ist es an diesem Tag deshalb 37 Grad warm bei 40 Prozent Luftfeuchtigkeit. „Den Winter verbringen die beiden hauptsächlich hier drinnen.“ Damit genügend Licht eindringen kann, hat das Gewächshaus Hightech-Glasscheiben, die bis zu 90 Prozent UV-durchlässig sind. „Das ist mehr als bei Fenstergläsern.“

Nicht nur die Lampen und modernen Glasscheiben sind vom Feinsten. Verschiedene Böden aus Pinienrinde, Kieselsteinen und Gras sorgen dafür, dass sich die Tiere auf warmen und auf feuchtem Boden bewegen können. „Zu trockener Boden schadet den Schildkröten, genau wie ausschließlich feuchtes Gras.“ Der Untergrund muss der Natur des jeweiligen Landes, aus dem die Schildkröten stammen, nachempfunden werden, sagt Christin Kern.

Bäumchen, Büsche und Kräuter bieten den Tieren in den Gehegen der Auffangstation einen Rückzugsort. Außerdem fressen sie viele der Pflanzen, insbesondere Kräuter. „Eisbergsalat oder Obst sind entweder zu süß oder enthalten keine Nährstoffe, die Schildkröten aufnehmen können. Kräuter sind dagegen gut für die Tiere.“

Beim Rundgang durch die Auffangstation wird deutlich, dass bei der Schildkrötenpflege viel zu beachten und manches mit Kosten verbunden ist. Man denke nur an die Tierarztbesuche, die mit 70 Schildkröten anstehen. Die Kosten bekommt Kern zum Teil vom Stuttgarter Tierheim erstattet. „90 Prozent bezahle ich allerdings aus eigener Tasche.“ Kern, die für ihre Auffangstation 2015 den Landestierschutzpreis erhielt, investiert täglich sechs bis sieben Arbeitsstunden in die Pflege der Tiere. Doch die Mühen zahlen sich aus: „Es ist wunderbar zu sehen, wie verwahrloste und kranke Tiere im Laufe der Zeit genesen und sich entwickeln.“ Eigentlich könne sie täglich sechs oder sieben weitere Tiere aufnehmen, aber ihre Kapazitäten seien begrenzt. „Deshalb ist es wichtig, dass Interessierte wirklich eine Schildkröte aufnehmen, statt ein Tier zu kaufen.“