Mehrere Dutzend Bürger demonstrieren am 02.10.2017 in Stuttgart mit Schildern und Bannern. Sie fordern die Annahme des Fahrverboturteils des Verwaltungsgerichts Stuttgart, dass als Reaktion auf die Stickoxidbelastung in der Stadt ein Fahrverbot für ältere Diesel und Benziner verhängt hat. Foto: dpa - dpa

Das Land hat Sprungrevision beim Bundesverwaltungsgericht gegen das Stuttgarter Fahrverbotsurteil eingelegt. Die Wirtschaft und Umweltschützer sind damit gleichermaßen unzufrieden.

Stuttgart (dpa/lsw) - Für ihre Entscheidung, gegen das Stuttgarter Fahrverbotsurteil vorzugehen, erntet die Landesregierung von vielen Seiten Kritik. Der Dachverband Arbeitgeber Baden-Württemberg bemängelte, dass die grün-schwarze Koalition die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wählte, nicht aber die Berufung.

«Mit dem Weg einer sofortigen Sprungrevision wird die große Chance vertan, weniger drastische Lösungen als Fahrverbote zu suchen», sagte Hauptgeschäftsführer Peer-Michael Dick. Es gebe neue Sachverhalte, die bei einer erneuten gerichtlichen Gesamtbewertung - also in einem Berufungsverfahren - hätten berücksichtigt werden können.

Dick nannte insbesondere die Ergebnisse des Diesel-Gipfels der Bundesregierung. Ähnlich äußerten sich die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer Stuttgart, Marion Oker. Die Wirtschaft befürchte weiterhin Fahrverbote.

Die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbandes Baden-Württemberg, Sabine Hagmann, kritisierte den Verzicht auf die Berufung und sprach von einer unglaublichen Entscheidung. Man wisse, dass mit Fahrverboten der betroffenen Region, deren Wirtschaft und Bevölkerung langfristig großer Schaden zugefügt werde. Vor diesem Hintergrund wäre es nicht nur verhältnismäßig, sondern zwingend geboten gewesen, diese Instanz zu beschreiten. «Dass dies nicht geschieht, macht mich beinahe fassungslos», teilte Hagmann mit.

Der Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger, hält die Sprungrevision nur für die zweitbeste Lösung. Sie sei zwar besser als gar keine Rechtsmittel, teilte er mit. Allerdings hätte auch die IG Metall eine Berufung befürwortet, da nur dort veränderte Sachverhalte berücksichtigt werden könnten.

Hingegen hätte sich der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) eine Annahme des Stuttgarter Fahrverbotsurteil gewünscht. «Die Sprungrevision verzögert wirksame Maßnahmen zur Luftreinhaltung um mindestens ein weiteres Jahr», sagte Landesgeschäftsführerin Sylvia Pilarsky-Grosch. Die Landesregierung agiere mehr und mehr als politische Dependance der Autolobby, kritisierte sie.

Die Landesregierung hatte am Montag entschieden, Rechtsmittel gegen das Stuttgarter Fahrverbotsurteil einzulegen - und zwar auf dem Weg der Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Damit wird das Urteil nur juristisch abgeklopft - zum Beispiel auf die Frage, ob das Land in Stuttgart Zonen für Diesel-Fahrverbote in Eigenregie durchsetzen kann, obwohl dafür der Bund zuständig ist.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte geurteilt, dass die vorgesehenen Maßnahmen für die Landeshauptstadt nicht reichten, um die seit Jahren vor allem mit Stickoxiden und Feinstaub verschmutzte Luft nachhaltig zu verbessern. Somit drohen Fahrverbote für alte Diesel-Autos, die als Hauptverursacher von Stickoxiden gelten.

Teile der Grünen hatten dafür plädiert, das Urteil anzunehmen. Hingegen hatte die CDU auf eine Berufung gepocht. Eine Sprungrevision hatten die Koalitionspartner von Anfang an nicht ausgeschlossen.

Zum gestrigen Artikel über die Sprungrevision geht es hier.