Auf dem Marktplatz bieten an heißen Tagen nur die Schirme der Händler Schutz. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko - Lichtgut/Max Kovalenko

Bei Sommerhitze ist der Marktplatz eines der heißen Pflaster der Stadt. Jetzt wird er umgestaltet. Ohne neue Bäume. Dabei verspricht OB Kuhn viele neue Stadtbäume. Warum dann nicht hier?

StuttgartOberbürgermeister Fritz Kuhn will Flagge zeigen, wenn es um Stuttgarts Beitrag zum Klimaschutz geht – und darum, dem wachsenden Hitzestress in der Großstadt zu begegnen. Bei allen relevanten Beschlüssen solle der Gemeinderat künftig die Auswirkungen auf das Klima berücksichtigen, sagte Kuhn, als er ein Aktionsprogramm fürs Klima vorstellte, dabei die Entschärfung von Stuttgarts heißesten Stellen versprach – und noch mehr Stadtbäume, die bekanntlich Schatten spenden und durch Verdunstung die Luft befeuchten. So gesehen müsste Kuhn eigentlich die Pläne für die Umgestaltung des Marktplatzes überprüfen, die im September 2020 endlich in Gang kommen soll. Seine Verwaltung bereitet aber weiter – wie seit mehr als einem Jahr – vor allem eine umfassende neue Pflasterung vor. In deren Zuge sollen zwar ein Trinkwasserspender und ein Wasserfontänenfeld eingebaut werden, aber keine zusätzlichen Bäume, obwohl der Platz kaum Schatten bietet.

Dabei hat die Abteilung Stadtklimatologie im Amt für Umweltschutz, wie unsere Zeitung jetzt erfuhr, schon vor gut zwei Jahren mit einer Simulation verwaltungsintern Wichtiges nachgewiesen: Eine L-förmige Baumreihe am nördlichen Eck des Platzes – von der Einmündung der Schulstraße bis zur Münzstraße – würde in Verbindung mit dem Fontänenfeld die Aufenthaltsqualität und das Wohlbehagen der Menschen deutlich steigern. Mit den vorgeschlagenen Bäumen – Feldahorne von zwölf Metern Höhe mit neun Meter breiten Kronen – wäre die gefühlte Temperatur in diesem Platzbereich am 27. August 2016 um zehn Grad reduziert worden. An einzelnen Stellen, an denen gefühlte Temperaturen bis zu 50 Grad ermittelt wurden, sogar um bis zu zwölf Grad.

Dabei geht es um Mittelwerte und dem Zeitraum von 10 bis 16 Uhr, anderthalb Meter über dem Boden. Es geht um die sogenannte physiologisch äquivalente Temperatur (PET). Das ist ein Index, in den auch die Sonnenstrahlung, die Windgeschwindigkeit, die Luftfeuchtigkeit und andere Komponenten Eingang finden. Dieser Index für das Hitzeempfinden spielt in Deutschland in vielen Ämtern und Hochschulinstituten eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, die Städte auf ihre Zukunft vorzubereiten.

Die Idee der „Komfortzone“ auf dem Marktplatz blieb im Rathaus aber auf der Strecke. Weil die Bäume die Fassadenfront der Gebäude aus den 1950er-Jahren verstellen würden? Weil Plätze für Wochenmarktstände, Weihnachtsmarktstände und Weindorflauben bedroht wären? Die Sache mit den Standplätzen sei schon ein Thema gewesen, sagte Rainer Kapp, Leiter der Abteilung Stadtklimatologie, auf Anfrage. Die damaligen Simulationsergebnisse bestätigt er: „Diese Größenordnung ist realistisch.“

Als das Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung dann Anfang 2018 dem städtischen Gestaltungsbeirat verschiedene Ideen für die Platzumgestaltung vortrug, rückte es als Alternative neben einem Wasserfontänenfeld jedoch eine Baumreihe am anderen Marktplatzrand im Schatten des Rathauses ins Rampenlicht. Das Gremium mit Planungsexperten aus anderen Großstädten sprang nicht darauf an. Einzig Vanessa Miriam Carlow aus Berlin sagte aus eigenen Stücken, sie könne sich den einen oder anderen schattenspenden Baum vorstellen, wo früher einmal das Café Scholz betrieben wurde – also am heißeren, stärker der Sonne ausgesetzten Abschnitt des Platzes, den auch die Stadtklimatologen ins Visier genommen hatten. Die anderen Beiratsmitglieder goutierten Carlows Anregung nicht, rieten stattdessen zum Freihalten des Platzes – und die Verwaltung wollte die Idee der Stadtklimatologen offenbar nicht groß diskutieren.

Nachverfolgen lässt sich das im Nachhinein schwer. Die Verwaltung hält Protokolle von öffentlichen Sitzungen des Beirats unter Verschluss. „Dieses Dokument ist ausschließlich für den verwaltungsinternen Gebrauch gedacht. Wir dürfen es nicht an Dritte weitergeben“, sagte ein Sprecher der Stadt am Dienstag.

Klaus Volkmer vom Stadtplanungsamt sagt, mit der Pflanzung von vier bis sechs Bäumen würde man in den Bereich des stillgelegten Hotelbunkers unter dem Marktplatz kommen. Möglicherweise würden sich die Bäume, je nach Qualität der Standorte, unterschiedlich entwickeln. Zudem würde man „voll ins Marktgeschehen eingreifen. Auch die Versorgungsleitungen im Untergrund und die Feuergasse wären zu bedenken. „Es wäre kein einfaches Unterfangen.“ Volkmer gibt aber auch zu: „Unmöglich wäre es wohl nicht.“ Hätten sich der Gestaltungsbeirat und der Städtebauausschuss anders geäußert, hätte man die Chose wahrscheinlich vor den Umwelt- und Technik-Ausschuss des Gemeinderats gebracht. Aber schon die Idee der Bäume vor dem Rathaus habe keinen Anklang gefunden. Volkmer erwartet sich von dem Wasserfontänenfeld, das der Gemeinderat mitträgt, eine positive Wirkung.

Ulrich Reuter, pensionierter Leiter der Abteilung Stadtklimatologie, unter dessen Ägide die Mitarbeiterin Hyunjung Lee das Mikroklima untersuchte, hält die Baumpflanzungen jedoch mehr denn je für erstrebenswert: Der OB wolle doch die heißesten Stellen der Stadt begrünen, und dieser Teil des Marktplatzes lade wahrlich nicht zum Verweilen ein. Also solle man die Chance nutzen, das Hitzeempfinden der Menschen um mehr als zehn Grad zu verringern. Das möge vielleicht technisch anspruchsvoll sein. Aber: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“