Ein Bild aus Sommertagen: Imker Hans-Eberhard Wulle mit den Rathaus-Bienen. Foto: Stadt Stuttgart/Lichtgut/Piechowski Quelle: Unbekannt

Von Andrea Eisenmann

Stuttgart - Die Zeiten, in denen es auf dem Dach des Stuttgarter Rathauses gesummt und gebrummt hat, sind vorbei. Allerdings nur für wenige Monate. Mit Beginn der kalten Jahreszeit haben die Königinnen ihre Bruttätigkeit eingestellt. Imker Hans-Eberhard Wulle kann auf ein gutes Jahr zurückblicken - und das können nicht alle seiner Kollegen. Während mancher Imker auf Grund der Kälte im Frühjahr kaum süße Masse gewinnen konnte oder viel zufüttern musste, wurden mit dem geernteten Rathaus-Honig mehr als 200 Gläser gefüllt. Das lag nicht zuletzt an dem ungewöhnlichen Standort im Herzen der Stadt: Die gestreiften Insekten flogen offenbar vielfach die Rosskastanien auf dem Schlossplatz an, die erst nach dem Kälteeinbruch im April zu blühen begonnen hatten. Bleibt die Frage nach dem Geschmack: „Hoch aromatisch“, versichert der Imker aus Plieningen.

Der Trend des „Urban Imkering“- was so viel bedeutet wie „Honig aus der Stadt“ - schwappte vor einigen Jahren aus Großstädten wie New York oder Paris nach Deutschland. Seither stößt man auch in Stuttgart auf eine stetig steigende Zahl an Bienenstöcken, die von Unternehmen, Einrichtungen oder Privatpersonen gehegt und gepflegt werden. Manche von ihnen sind an ungewöhnlichen Standorten zu finden - auf Dächern von Hochhäusern, Banken oder Hotels, auf Terrassen oder in Hinterhöfen. Manche der Stadtbienen haben einen prominenten „Boss“ - wie Oberbürgermeister Fritz Kuhn oder Landesvater Winfried Kretschmann. Dessen vier Völker residieren in nobler Stuttgarter Höhenlage, genauer gesagt: im Park der Villa Reitzenstein, und werden dort von den Experten der Landesanstalt für Bienenkunde betreut. Helmut Horn, Leiter des Honiglabors, ist regelmäßig vor Ort und kümmert sich um die „Schwarz-Gelben“. Und nicht nur um diese: In Hohenheim gehen oft Anfragen von Freizeit-Imkern ein.

Deren Zahl ist in Stuttgart in den vergangenen Jahren auf mehrere Hundert gestiegen. Die Motivation vieler Nachwuchs-Bienenhalter: „Sie wollen die Natur schützen und etwas gegen das Insektensterben tun“, hat Horn festgestellt. Der Honig hingegen sei oft zweitrangig. Allerdings führt dies mitunter auch zu der Annahme, man könne die Bienen sich selbst überlassen. „Dem ist jedoch nicht so. Um ein Haustier muss man sich schließlich auch kümmern.“ Sogar die Urlaubszeit im Sommer muss sich nach den emsigen Sammlerinnen richten, auch Vorkehrungen gegen Parasitenbefall müssen getroffen werden.

Dass das Imkern in Städten boomt, sieht Horn nicht nur positiv. Denn der Grund dafür liege auch darin, dass die Pflanzenvielfalt dort mittlerweile wesentlich größer als auf dem Land ist, wo agrarindustrielle Ödnis herrscht: Kleingehölze, Hecken und Waldstücke wurden gerodet. Entstanden sind großräumige Agrarflächen - gut für Monokulturen, schlecht hingegen für Bienen, die auf grünen „Wüsten“ weder Pollen noch Nektar finden. Feinstaub beispielsweise, von dem es in Stuttgart ja bekanntlich reichlich gibt, macht den gestreiften Tieren indes wenig zu schaffen. „Die Bienen fungieren als Filter, die die Schadstoffe aus dem Nektar entfernen“, weiß Horn.

Ausgesummt hat es sich allerdings auf der Landesmesse Stuttgart, dort sucht man vergebens nach Bienenvölker. Eventuell, so wird vermutet, seien die Insekten vor längerer Zeit zum Flughafen abgewandert. Dort hat der frühere Flughafen-Chef Georg Fundel in der Vergangenheit gern seine fleißigen, „tariffreien Mitarbeiter“ gelobt. Seit fünf Jahren kümmert sich am Airport ein ausgebildeter Gärtner um die Bienenstöcke, die Qualität des Honigs wird von der Landesanstalt für Bienenkunde regelmäßig überprüft. Beanstandungen, sagt Sprecherin Beate Schleicher, gab es bislang keine. Im Gegenteil. „Einwandfreie Qualität“ sei ihnen stets bescheinigt worden. Der Ertrag indes variiert: Konnten im Jahr 2013 rund 25 Kilogramm des süßen Golds geerntet werden, gab es in diesem Jahr fast gar nichts. Das lag nicht nur am Wetter, sondern vor allem an der Schleuder, die beim Abfüllen kaputt ging. „Nächstes Jahr hoffen wir wieder auf einen guten Ertrag.“ Verkauft werden die abgefüllten Gläser des Flughafen-Honigs nicht, sondern im Haus verschenkt oder - wie im Jahr 2015 - über die Facebook-Seite des Airports verlost.

Einen internen Wettbewerb um die „fleißigsten Bienen“ wurde übrigens auf dem Dach der Südwestbank im Stuttgarter Westen ausgelobt. Dort hat sich jeder der drei Vorstände eines Stocks angenommen - in der Hoffnung, dass seine summenden Honigproduzenten die beste Jahresernte einbringen. Das „Gold“ für den Sieger dürfte vor allem eins sein: süß und klebrig.