Jörg Mink hat Glück: Sein Sohn Jan springt gern am Herd ein. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko - Lichtgut/Max Kovalenko

Immer mehr Gastronomiebetriebe eröffnen, doch der Personalpool wird nicht größer. Vor allem Führungskräfte wie Küchenchefs und Sous-Chefs sind gefragt.

StuttgartJörg Mink vom Schlossrestaurant auf der Solitude würde sofort zwei Köche einstellen. Aber er findet keine geeigneten Bewerber. Also hat er aus der Not eine Tugend gemacht: Sein 24-jähriger Sohn Jan, eigentlich ausgebildeter Restaurantfachmann, allerdings auch ambitionierter Freizeitkoch, hilft ihm bei Veranstaltungen in der Küche. „Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Anders ginge es nicht“, erläutert Mink.

Kreativität ist auch bei den Kollegen angesagt. Christiane Welt, die stellvertretende Direktorin im Hotel Graf Zeppelin, schaut ohne konkreten Bedarf in den einschlägigen digitalen Portalen nach: „Ohne Netzwerke geht es nicht“ – zumal ein Koch, der sich verabschiede, gerne andere auch Mitarbeiter mitnehme. Christian List vom Roten Hirschen in Bad Cannstatt und in Esslingen hat sich einmal ein Wochenende bei Facebook auf Mitarbeitersuche gemacht. „Ich habe eine Anzeige geschaltet und geschaut, wer wem den Link schickt. Die habe ich alle einzeln angeschrieben.“

Michael Wilhelmer (Stäffele, Ampulle, Schlachthof) spricht von einer „Anspannung allenthalben“. Immer mehr Betriebe eröffneten, aber der Pool an Personal werde nicht größer. Das gelte vor allem für Führungskräfte wie Küchenchefs oder Sous-Chefs. Einen solchen hat Jochen Beier von der Speisemeisterei soeben eingestellt – und man sieht ihm die Erleichterung an. Wer Bedarf habe, so Beier, müsse auch bereit sein, Geld in die Hand zu nehmen. Das bestätigt Solitude-Patron Mink: „Ein guter Küchenchef verdient heute ein Ingenieurgehalt.“ Etliche Kollegen bezahlten dazu den Führerschein, Messebesuche samt der Übernachtung zur „Inspiration“ oder schon mal einen Dienstwagen. Am Geld liege es ebenso wenig wie an den Arbeitszeiten, die mittlerweile besser seien und im Übrigen ja streng kontrolliert würden.

Die gute Konjunktur und mit ihr die seit Jahren konstant hohen Übernachtungszahlen sind mit schuld am Dilemma. So sieht es Daniel Ohl, der Sprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Baden-Württemberg. Er macht das an zwei Zahlen fest: „Im Jahr 2010 hatte unsere Branche etwa 100.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte. Heute sind es 130.000. Das entspricht einem Zuwachs von mehr als 30 Prozent in acht Jahren.“ Das Gastgewerbe wachse nicht nur stark, sondern sei auch personalintensiv. „Gerade im Bereich der qualifizierten Küchenmitarbeiter fällt es den Betrieben schwer, offene Stellen adäquat zu besetzen.“ Der Mangel habe nach den „Boomjahren“ seit dem Jahr 2010 begonnen, sagt Ohl. „2007 hatten wir einen Peak bei den Ausbildungszahlen. Danach ging es bergab.“

Mink bietet seinen Köchen eine Viereinhalb-Tage-Woche mit zwei freien Tagen nach Wahl, und am Sonntagabend ist sein Restaurant geschlossen. Dennoch fehlen ihm Fachkräfte. Viele Nachwuchsköche würden schon in der Ausbildung als billige Arbeitskräfte „verheizt“, sagt er, weshalb etliche danach erst einmal eine Pause einlegten. So ist es ihm mit zwei Lehrlingen passiert, die bei ihm als Jungköche anfangen wollten und dann doch absagten, wofür er Verständnis hat. „Die müssen erst mal ihr Selbstwertgefühl aufbauen.“ Für Christian List ist die Konsequenz klar: Die Systemgastronomie breitet sich weiter aus, weil sie mit deutlich weniger und weniger gut ausgebildetem Personal auskommt. Bei einem italienischen Konzept sei schon allein der Wareneinsatz ein anderer als bei einem schwäbischen Lokal – und dank uniformer Rezepte mit überschaubaren Zutaten sei auch ein ungelernter Pizzabäcker schnell mit den Abläufen vertraut.

Das unterschreibt auch der Dehoga-Sprecher: Der am schnellsten wachsende Bereich in der Branche sei die Systemgastronomie, erklärt Ohl. Dabei handle es sich um modern konzipierte Betriebe mit einer klaren Produktlinie und einem ebensolchen Ambiente – jedoch ohne Küchenmeister. Das Leitmotiv laute: „Was klemmt, weniger wichtig machen.“

Die hohe Wiedererkennbarkeit und die schlanke Karte sind ideal für Gäste, die „gschwind“ etwas essen wollen. Das sei inzwischen leider die Mehrheit, bedauert Jörg Mink, der das geänderte Ausgehverhalten für den fortschreitenden Wandel in der Gastronomie mit verantwortlich macht. „Man geht nicht mehr da essen, wo man arbeitet. Die Leute kommen nach Hause, essen kurz etwas, gehen zum Sport, schauen noch fern und dann ab ins Bett. Ausgegangen wird nur noch im Urlaub. Da lässt man es sich gut gehen und gibt Geld aus. Wieder zurück, zehrt man von den schönen Abenden und freut sich aufs nächste verlängerte Wochenende“, erläutert der Gastronom.

Branche mit Problemen

Statistik: Die Bundesagentur für Arbeit führt die Statistik über die offenen Stellen. Laut dieser waren 2018 in Stuttgart im Jahresschnitt jeden Monat 192 Stellen im Bereich der Speisezubereitung unbesetzt, darunter waren 187 Köche und Köchinnen. Die sogenannte Vakanzzeit betrug im Jahresschnitt etwa 77 Tage.

Stellen: Die Statistik halten Branchenvertreter für aussagekräftig – aber sie habe ihre Grenzen. Das Problem: Es werden längst nicht alle offenen Stellen gemeldet – ebenso wenig wie alle diejenigen Stellen, die wiederbesetzt werden konnten beziehungsweise auf deren Besetzung letztlich ganz verzichtet worden ist.

Dreckige Luft: Stuttgart hat in den Augen der Hoteliers und Wirte wegen der Feinstaubdebatte ein Imageproblem. Touristen seien verunsichert und blieben fern. Für Jörg Mink ist die Kommunikation des Rathauses geradezu sträflich:

„Das ist ein Selbstmord auf Raten für

die gesamte Dienstleistungsbranche.“