Die Entgeltordnung soll Anreize für Klimaverträglichkeit schaffen. Foto: Bianca Renz - Bianca Renz

Mit einer neuen Entgeltordnung will die Betreiberin Impulse zur Lärmverringerung geben. Zugleich möchte sie die Geschäfte ankurbeln. Letzteres stößt auf Kritik.

StuttgartDer Countdown läuft. Vom 1. Juli an wird die Flughafen Stuttgart GmbH (FSG) mit den Fluggesellschaften nach einer neuen Entgeltordnung abrechnen. Das Starten und das Landen von vergleichsweise lauten Flugzeugen verteuern sich schlagartig. Der Einsatz von leiseren Maschinen wird belohnt. Dafür erntet die FSG zwar Lob, aber andere Elemente der neuen Ordnung werden von der Schutzgemeinschaft Filder kritisiert. Teurer wird es auch im Fall des Flugzeugs, das die FSG-Chefin Arina Freitag als „Brot-und-Butter-Flieger“ in Stuttgart bezeichnet: den Airbus 320 in der gängigen Version. Darauf entfällt etwa ein Viertel der knapp 140 000 Flugbewegungen pro Jahr am Stuttgarter Flughafen. Bisher wurden je 150 Euro als lärmabhängiger Anteil der Start-und-Lande-Gebühren sowohl fürs Aufsetzen wie auch fürs Abheben kassiert, künftig sind es 160. Vor allem aber: Für Flugbewegungen in der Zeit von 22 bis 22.59 Uhr verlangt die FSG nun generell den doppelten Satz. In der Zeit von 23 bis 23.59 Uhr ist es der dreifache , bis zum Ende der strengsten Nachtflugbeschränkungen um 5.59 Uhr der vierfache Satz. Nachtflüge, die nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt sind, will man einschränken. Diese Zusatzgebühren gehören zu den Neuerungen, die aber auch Nachlässe beim gewichtsabhängigen Teil der Start-und-Lande-Gebühren bringen.

Der lärmabhängige Anteil an den gesamten Start-und-Lande-Gebühren wurde so ausgeweitet, dass er nun ein Viertel statt zuvor 15 Prozent der kompletten Gebührensumme ausmache, sagt die Flughafenchefin. Ein Fallbeispiel illustriert die Folgen: Für eine rund 64 Tonnen schwere A320, die zwischen 22 und 23 Uhr landet, die Nacht über auf dem Flughafenvorfeld gegen Gebühr parkt und kurz nach 6 Uhr mit 126 von 168 möglichen Fluggästen startet, zahlt die Airline nun 150,60 Euro (5,4 Prozent) mehr. Fällt die Verteuerung von lauten Flügen gerade beim wichtigsten Flugzeugtyp damit nicht zu zaghaft aus? Auf die Frage sagt Freitag: „Das ist schon ein großer Schritt.“ Für Airlines mit 2000 Flügen oder mehr pro Jahr in Stuttgart summierten sich die Extrakosten. Und bei lauteren Maschinen als der A320 sind die Zuschläge saftiger. Freitag ist daher zuversichtlich, dass man wirklich einen Impuls für den Einsatz von modernerem Fluggerät gibt. Insofern sei die Regelung ein Beitrag zur „Befriedung der nachbarschaftlichen Situation“, also zur Entlastung der Anrainer von Lärm. Außerdem: Deutschlandweit hätten die Flughäfen auch diesen Fokus. Sprich: Wenn Stuttgart nicht mitmacht, riskiert man, dass die Airlines hier lautere Maschinen konzentrieren.

Die neue Regelung soll der Umstellung auf die moderne Flugzeugversion A320 neo einen weiteren Schub verpassen. Daher hat die FSG sie stark an der A320 ausgerichtet und einen zehnprozentigen Rabatt auf die lärmabhängige Gebühr beim Einsatz der Neo-Version eingeräumt. Die Lufthansa beispielsweise will davon in Kürze das 20. Die Verteuerung von lauten Flügen „liegt im lokalen Interesse in Stuttgart, und man kann sich davon einen Effekt versprechen“, sagte Christoph Brützel, Luftfahrtexperte und Dozent an der Internationalen Hochschule in Bad Honnef, jetzt unserer Zeitung – nachdem er vor zwei Jahren noch eher eine „Geste zur Beruhigung der Anwohner“ darin gesehen hatte. Selbst wenn die lauteren Jets weiter in Stuttgart zum Einsatz kämen, sagte Brützel jetzt weiter, würden die höheren Gebühren nicht automatisch zu höheren Ticketpreisen führen. Der Hintergrund: Airlines haben für die Ticketpreise oft komplizierte Mischkalkulationen. Die neue Entgeltordnung regelt neben den Gebühren auch Marketingzuschüsse und Rabatte der FSG für Airlines erstmals offen und für alle Partner – nachdem Arina Freitag im Jahr 2018 die Praxis unter ihrem Vorgänger Georg Fundel problematisiert hatte, weshalb inzwischen auch der Fiskus und die Staatsanwaltschaft in die Akten schauen. Klar definierte Rabatte und Zuschüsse gibt es für die Aufnahme neuer Strecken, besonders neuer Interkontinentalstrecken. Und Airlines, die das Jahr über viele Passagiere befördern, bekommen Volumenrabatte von bis zu 20 Prozent auf die verschiedenen Entgeltsätze. Zudem fördert die Flughafengesellschaft das Tanken alternativer Kraftstoffe. Beim Einsatz rein elektrischer Flugzeuge im Linienbetrieb will sie ein Jahr lang auf Start-und-Lande-Gebühren verzichten. Daher erklärt sich die FSG zur Vorreiterin für klimaverträgliches Fliegen.

Die Dauerkontrahenten bei der Schutzgemeinschaft Filder protestieren indes gegen die neue Entgeltordnung. Leisere Flugzeuge und eine gute Auslastung anzustreben sei zwar grundsätzlich positiv und nicht zu beanstanden, sagt der Vorsitzende Steffen Siegel. Aber indem die Flughafengesellschaft auf den Billigfliegerboom setze, mache sie mehr kaputt, als sie Gutes tue. Sie inszeniere sich als Klimafreundin, während sie mit dieser Entgeltordnung die Wachstumsphilosophie anheize und besonders lange Flüge besonders stark fördere. Siegel: „Nur weniger Fliegen hilft dem Klima. Die Wachstumseuphorie aber wird von der FSG nicht angetastet.“ Daher seien an diesem Punkt die Politiker gefordert.