Der Herr der Schlüssel: Rolf Zielfleisch, Vorsitzender des Vereins Schutzbauten Stuttgart, ist seit mehr als zehn Jahren Fan der Bunker der Stadt. Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Nachts erhellt sie den Pragsattel, tagsüber ist sie Hingucker für Autofahrer im oft stockenden Berufsverkehr: Die größte Litfaßsäule der Stadt ist von weitem sichtbar und wohl jedem Stuttgarter bekannt. Nur die wenigsten wissen jedoch, dass der 50 Meter hohe Turm ein Hochbunker ist. Zu seinem 75. Geburtstag bietet der Verein Schutzbauten Stuttgart am kommenden Sonntag, 15. Oktober, Führungen durch die Räume an.

„Obwohl er nur für 2000 Menschen konzipiert war, hat er im Zweiten Weltkrieg wohl bis zu 3000 Menschen Schutz vor Luftangriffen geboten“, sagt Rolf Zielfleisch, Vorsitzender des Vereins Schutzbauten Stuttgart. Insgesamt kam es im Zweiten Weltkrieg zu 53 Luftangriffen auf die Landeshauptstadt. Alleine zwischen dem 25. und 29. Juli 1944 flogen die Alliierten vier Luftangriffe auf Stuttgart, warfen 5240 Spreng- sowie 67 800 Brandbomben ab. Auch Oberbaurat Richard Scheuerle, zuständig für den Bau der Bunker im Zweiten Weltkrieg, zog sich bei jedem Luftangriff auf den Pragsattel zurück. Doch warum wählte er zum Schutz der Zivilbevölkerung eigentlich ein so markantes Gebäude? „Bei Hochbunkern benötigt man weniger Beton als bei Tiefbunkern, da sich der Druck von Bombenteppichen in alle Richtungen verteilen kann“, erklärt Rolf Zielfleisch. Auch die Zielgenauigkeit sei damals mit heutigen Waffen nicht vergleichbar gewesen. Welche Ängste die Zivilbevölkerung vor mehr als 68 Jahren wirklich durchlebte, als sie zu Tausenden stundenlang hinter Meter dicken Mauern untergebracht wurden, kann man sich beim Gang durch das enge Treppenhaus und die verwinkelten Gänge wohl nicht annähernd vorstellen. Eindrucksvoll sind die leeren Räume dennoch. Die Luft muss zum Schneiden gewesen sein, denn die Lüftungsanlage war für längere Aufenthalte nicht ausgelegt.

Diese Problematik bekamen auch die Flüchtlinge nach Kriegsende zu spüren, die im Bunker untergebracht wurden. Entweder kamen aus der Lüftung Staub und Schmutz oder die Anlage wurde erst gar nicht in Betrieb genommen. „Es war ein Männerwohnheim, in dem die sozial unterste Schicht leben musste. Psychisch Kranke und Personen, die sich eine Miete von 15 Mark pro Woche nicht leisten konnten, wurden auf engstem Raum zusammengepfercht, Matratzen ohne Reinigung an den Nachfolger übergeben.“ Am 9. Januar 1964 war es vorbei mit diesen menschenverachtenden Zuständen. Die Notunterkunft wurde aufgelöst und der Bunker wieder seiner alten Bestimmung zugeführt: dem Zivilschutz. Dafür musste er in den 70er-Jahren für die Belange des Kalten Krieges modernisiert werden. Unter anderem mit einer neuen Lüftungsanlage, die bei Stromausfall auch per Kurbel betrieben werden konnte. „Außerdem wurden Räume für die Messung von Radioaktivität vorbereitet“, sagt Zielfleisch, der vor zwölf Jahren in das Bunker-Thema mehr zufällig eingestiegen ist.

„Ich habe mich darüber geärgert, dass viele Feuerbacher dachten, dass der dortige Spitzbunker ein Wasserturm sei.“ Seine Denkschrift sei so gut angekommen, dass er gemeinsam mit dem 2006 gegründeten Verein Schutzbauten Stuttgart immer tiefer in die Materie eingestiegen ist und die Behörden überzeugte, regelmäßig Führungen anbieten zu dürfen. Darüber hinaus haben sie in mehreren Luftschutzbauten in mühevoller Kleinarbeit verschiedene Ausstellungen zusammengestellt. Im Hochbunker auf dem Pragsattel wurde gemeinsam mit der Branddirektion Stuttgart das Thema moderner Zivilschutz aufgegriffen und gezeigt, wie man bei einem längeren Stromausfall über die Runden kommt, oder was zu tun ist, wenn die Wasserversorgung ausfällt. „Welche Notsituationen heute eintreten können, darum machen sich die wenigsten Leute Gedanken. Unser Ziel ist es, mit den Führungen durch die Bunker der Geschichte ein Gesicht zu geben und vergangene Zeiten mit authentischen Zeitdokumenten besser begreifbar zu machen.“

Am Sonntag, 15. Oktober, führt der Verein Schutzbauten Stuttgart von 13 bis 17 Uhr in kleinen Gruppen, exklusiv durch diesen sonst verschlossenen Bunker. Mit Wartezeiten ist zu rechnen. Der Eintritt beträgt 8 Euro, für Kinder 5 Euro. Weitere Infos gibt es unter www.schutzbauten-stuttgart.de.