Foto: Max Kovalenko, info@maxkovalenk - Max Kovalenko, info@maxkovalenko.com 01577/1989584/Lichtgut/Max Kovalenko

Sara Dahme fühlt sich dort am wohlsten, wo Hipster auf Rentner treffen - etwa im Café Schurr. Eine Begegnung, bei der es um Kunst, Autos und Buffy, die Vampirjägerin, geht.

StuttgartWäre Sara Dahme ein Kinofilm, wäre sie gewiss ein durchgedrehter New-Hollywood-Roadmovie aus den 1970ern – ein Actiondrama, bei dem man nie weiß, was als nächstes passiert, das einem immer einen Schritt voraus ist, ein schnelles, aufregendes, grelles, lautes, schickes und verdammt schlaues Stück Zelluloid. Und ihr eigentlicher Hauptdarsteller wäre ein Auto. Nicht irgendein Auto, sondern ein schwarzer Pontiac Firebird, Jahrgang 1974. Genauso einer wie der, mit dem sie gerade beim Café Schurr in Heslach vorfährt und – wie im Kino – kurioserweise direkt vor der Haustür einen Parkplatz findet.

Sara Dahme ist ein Autonarr, zehn Jahre jünger als ihr Firebird, halbe Finnin, verbeamtete Kunstlehrerin, Stuttgarts umtriebigste Kulturvermittlerin und Stuttgarts zweitgrößter Fan der Fernsehserie „Buffy – Im Bann der Dämonen“ – und wenn in der Stadt gerade irgendwo etwas Aufregendes passiert, kann man sich ziemlich sicher sein, Sara Dahme dort zu treffen. „Diese Entdeckungslust hatte ich schon immer“, sagt die Frau, die sich ständig neue Formate ausdenkt, um Kunst und Kultur zum Gesprächsstoff zu machen – in der Staatsgalerie oder im Kunstverein, im Literaturhaus oder im Stadtmuseum, im Theater Rampe oder in der Staatsoper. Sie leitet Workshops, hat eine eigene Gesprächsreihe oder legt als DJ obskure Musik zwischen House und Disco auf. Haben wir etwas vergessen? Ganz bestimmt. Jede Menge.

Im Café Schurr herrscht ein ebenso großes Durcheinander wie in Sara Dahmes Portfolio. Hier treffen sich Omas und Hipster, die cool finden, dass der Shabby Chic hier nicht neu, sondern tatsächlich einfach im Lauf der Jahre entstanden ist. Ihr gefällt „die spezielle Kunst, die hier ausgestellt wird“, zurzeit sind es merkwürdige Aquarienbilder, hat hier schon zweimal ihren Geburtstag gefeiert, außerdem gibt es hier „die leckersten Kuchen überhaupt“. Und sie findet es toll, dass gerade an der Theke „die coolste Stuttgarterin, die ich kenne“ steht. Dabei dachten wir, die coolste Stuttgarterin sei Sara Dahme. Doch wahrscheinlich gilt man noch nicht als Stuttgarterin, wenn man erst seit 2003 hier lebt.

Man glaubt ihr nicht wirklich, dass sie eigentlich ein Dorfkind ist, aufgewachsen in Blitzenreute bei Ravensburg. Zum Studium an der Kunstakademie kam sie dann nach Stuttgart. Wie war das Ankommen? „Am Anfang war’s schon schwierig. „Die Stuttgarter sind so aufgeräumt“, sagt sie diplomatisch. Das hat aber auch Vorteile, hier läuft es anders als in Hamburg oder Berlin. „Nutznießer der Stuttgarter Beharrlichkeit“ sei sie; zuverlässig, wenn man was ausmacht, dann klappt das auch, Verlässlichkeit, Professionalität. „Es macht Spaß hier zu arbeiten.“

Und obwohl sie wunderbar stur sein kann, sich ungestüm begeistern kann für die Arbeit, die beim Festival der Kulturen gemacht wird oder beim Tanz- und Produktionszentrum und sich amüsiert wundern kann über den Hype um ein geschreddertes Bild eines Street-Art-Künstlers, hält sie nichts von Kulturdidaktik mit erhobenem Zeigefinger. „Das Eindeutige nervt mich“, sagt sie, „ich will Kunst nicht erklären.“ Man müsse auch mal das Unverständliche aushalten und die Meinungen anderer. Stattdessen geht es ihr um einen offenen Zugang. „Ich finde es spannend, was jemand anders mit einem Kunstwerk verbindet“, sagt sie. Diese Neugierde, die Lust am Entdecken, prägt sie. „Ich bin eine Rumtreiberin“, sagt sie, „ich bin gerne unter Menschen“ – ständig unter Strom.

Sie erholt sich nicht am Strand oder im Wellnesshotel, sondern beim Erkunden von neuen Städten. Mexiko-Stadt wäre so eine. Gerade weil sie ein bisschen Angst vor dieser Stadt hat, eine Stadt, die nicht aufhört, irgendwo zwischen Moloch und Paradiesgarten. Ein bisschen das Gegenteil von Stuttgart, sehr kompakt. Aber eigentlich hat sie auch gar keine Angst, sondern „so eine Dauernaivität“. Sie hat das Glück, mitten in der Nacht im L-Train nach Brooklyn einzuschlafen, um dann in Neptune aufzuwachen, und der gangstermäßige Typ, der dann plötzlich kommt und sich neben sie setzt, macht ihr bloß ein Kompliment für ihre Schuhe. Oder als sie bei ihrer Reise neulich durch Illinois auf das Grundstück eines Manns gegangen ist, weil sie die dort stehenden Autos so toll fand. Die anderen haben gesagt, tu das nicht, der erschießt dich, stattdessen hat er ihr was zu trinken angeboten.

Sowieso liebt Sara Dahme Amerika, „das cineastische, nicht das reale“ Und es fiel ihr schon ein bisschen schwer, im Café Schurr nicht das amerikanische, sondern das französische Frühstück zu bestellen. Und irgendwie hängt damit auch ihre Liebe zu Autos zusammen („Ich bin mit ‚Knight Rider‘ aufgewachsen.“) Und selbstverständlich weiß sie, in welchen Filmen ihr Auto schon mal mitgespielt hat, der Firebird war zum Beispiel Steve McQueens Auto in „The Hunter“ und kürzlich erst ist einer durch die Serie „Stranger Things“ geröhrt. Sie liebt die protzige Eleganz dieses 300 PS starken Muscle Cars, der als „eine Zuhälterkarre“ gilt. Ein Auto, bei dem Männer sogar noch 2019 glauben, dass eine Frau da nichts am Steuer verloren hat. Wie neulich an der Tankstelle, als einer zu ihr gesagt hat: „Da hat Ihr Mann aber ein tolles Auto!“

Doch Sara Dahme wäre nicht Sara Dahme, wenn sie solche Irritationen nicht kreativ ausschlachten würde. Sie arbeitet gerade an einem Mein-Auto-und-ich-Fotobuch. Und wenn sie tatsächlich ein Kinofilm wäre, würde sie jetzt, während der Abspann läuft, mit aufröhrendem Motor in Richtung Horizont davonbrausen.