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Nach langen Diskussionen ist nun klar: Ab Anfang 2019 dürfen alte Dieselautos nicht mehr ins Stuttgarter Stadtgebiet fahren. Davon könnten bis zu 190 000 Wagen in der Region betroffen sein. Was passiert mit moderneren Dieseln?

Stuttgart (dpa/lsw)Im Kampf gegen schlechte Luft durch Dieselautos macht Stuttgart mit einem Fahrverbot Ernst und folgt als zweite deutsche Metropole dem Beispiel Hamburgs. Vom 1. Januar 2019 an müssen sich Besitzer älterer Dieselautos in der Landeshauptstadt auf Fahrverbote einstellen. Die grün-schwarze Koalition von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) einigte sich am Mittwoch nach wochenlangen Verhandlungen auf Fahrverbote für Diesel der Euro-Abgasnorm 4 und schlechter.

Ob es ab 2020 auch Fahrverbote für jüngere Diesel der Euronorm 5 gibt, will die Koalition von der Wirkung eines Luftreinhaltepaketes abhängig machen. Von diesen möglichen Verboten sollen aber Euro-5-Diesel für eine Übergangszeit von zwei Jahren ausgenommen werden, die mit einer Software nachgerüstet worden sind. Bei einer Hardware-Nachrüstung soll die Ausnahme dauerhaft gelten.

Stuttgart folgt mit dem Verbot Hamburg, wo Einschränkungen für Dieselwagen auf zwei Streckenabschnitten gelten. In Stuttgart beziehen sie sich aber auf das gesamte Stadtgebiet.

Autostadt Stuttgart unter Druck

Da Stuttgart Sitz von Autoherstellern wie Porsche und Daimler ist, gelten Fahrverbote hier als heikel. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte im Februar dieses Jahres entschieden, dass Fahrverbote zur Luftreinhaltung grundsätzlich erlaubt sind, wenn die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Seither stand das Land unter großem Handlungsdruck.

Bei den Fahrverboten für Euro-5-Diesel und schlechter soll es eine Übergangsfrist bis zum 1. April 2019 für Anwohner geben. Nach den Worten von Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz greift dann auch eine Reform der Tarife im Verkehrsverbund VVS, um den Menschen das Umsteigen auf den ÖPNV zu erleichtern. CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart sagte: «Diese Stadt muss raus aus den Staus.» Es gelte, auch die Elektromobilität in Stuttgart voranzubringen.

450 Millionen Euro für ein Maßnahmenpaket zur Luftreinhaltung

Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) kündigte unter anderem mehr Expressbuslinien und ein besseres Parkraummanagement in Stuttgart an. Insgesamt kostet das Maßnahmenpaket zur Luftreinhaltung nach seinen Worten 450 Millionen Euro, wobei die Finanzierung zu einem Großteil schon gesichert sei. Es gebe eine offene Summe von 105 Millionen Euro über zehn Jahre, die es zu finanzieren gelte. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) sprach von zahlreichen Ausnahmen von den Fahrverboten, etwa für Lieferverkehre und das Handwerk. «Wir haben hier unbefristete freie Fahrt vereinbart.» Ausnahmen gebe es auch für Menschen im Schichtdienst, Pflegedienste und Kleinstbetriebe, die bei Verboten in ihrer Existenz bedroht seien.

"Koalition ist handlungsfähig"

Ministerpräsident Kretschmann sagte, die Einigung zeige, dass die Koalition handlungsfähig sei. Zuvor war spekuliert worden, die Landesregierung könnte an der Frage der Diesel-Verbote zerbrechen, nachdem es bereits zum Jahresanfang eine schwere Belastungsprobe wegen einer zunächst angedachten und dann abgesagten Reform des Landtagswahlrechts gegeben hatte. Auch Vize-Regierungschef Thomas Strobl sagte am Mittwoch: «Diese Koalition ist handlungsfähig.»

Die Regierung musste auch deshalb jetzt eine Entscheidung treffen, weil das Verwaltungsgericht Stuttgart ihr eine Frist bis Montag (16.7.) gesetzt hatte, um ihre Luftreinhaltemaßnahmen genauer zu erklären. Das Gericht verlangte, dass das Land Fahrverbote für Euro-5-Diesel mit einem Termin in den Luftreinhalteplan für Stuttgart aufnimmt. CDU-Politiker wollen das Thema Euro-5-Diesel notfalls vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim klären lassen. Die Grünen wollen das eher nicht. Ob das Verwaltungsgericht die vorbehaltlichen Fahrverbote für Euro-5-Diesel akzeptiert, war zunächst offen. Sollte das Gericht ein Zwangsgeld verhängen, will die Regierung nach Kretschmanns Worten entscheiden, ob sie dagegen weiter vorgeht.

Zusätzliche Maßnahmen zu den Fahrverboten

Zusätzlich zum Fahrverbot für Diesel bis einschließlich Euronorm 4 hat die schwarz-grüne Koalition in Baden-Württemberg am Mittwoch für Stuttgart weitere Maßnahmen zur Luftverbesserung festgeschrieben. Eine Auswahl:

  • Die Ticketpreise im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) sollen gesenkt werden; zeitlich befristet will das Land dazu 42 Millionen Euro beisteuern.
  • Das Land will neue Tarife für ÖPNV-Fahrten über das Stadtgebiet hinaus mit einer Anschubfinanzierung und anschließend mit 20 Millionen Euro jährlich unterstützen.
  • Mit Expressbuslinien sollen die Fahrgastkapazitäten des Stuttgarter ÖPNV erhöht werden.
  • Elektrische Busse, Lkw und Flottenfahrzeuge sowie Lastenfahrräder sollen zusätzlich mit 40 Millionen Euro unterstützt werden.
  • Es sollen mehr Park-and-Ride-Parkplätze entstehen.
  • Intelligente Ampeln sollen den Verkehrsfluss verbessern, ebenso wie neue LED-Tafeln, die über die Fahrtdauer auf bestimmten Strecken informieren.
  • Im stark belasteten Bereich Neckartor in der Stuttgarter Innenstadt sollen Filterwände entlang der Fahrbahn oder als Fahrbahntrenner errichtet werden, um die Luft zu reinigen.
  • Zudem soll dort der Straßenbelag durch einen sogenannten High-Tech-Asphalt ausgetauscht werden, der nicht nur den Lärm mindert, sondern auch die Schadstoffbelastung reduziert.
  • Die Fassaden städtischer Gebäude sollen mit fotokatalytischer Farbe gestrichen werden, die Schadstoffe absorbiert.

Zahlen

Laut Zahlen, die das Kraftfahrt-Bundesamt (Stand 1. Januar 2018) an das Land übermittelte, sind in der Region Stuttgart, Böblingen, Esslingen, Göppingen, Ludwigsburg und im Rems-Murr-Kreis insgesamt 534 573 Dieselautos zugelassen. 34 Prozent davon sind mit Euro-5-Norm unterwegs, das entspricht 183 358 Autos. Hinzu kommen noch 188 163 Dieselwagen, die mit den Euronormen 1 bis 4 registriert sind. Das entspricht einem Anteil von 35 Prozent aller Dieselautos.