Einen ihrer poetischsten Momente erlebt die Show mit Olga Golubevas Nummer an der Flying Pole. Foto: Alexandra Klein Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Stuttgart - Es gab eine Zeit, da waren die Menschen aus dem Häuschen, wenn der Zirkus in die Stadt kam. Exotische Vergnügungen ließen sie den Alltag vergessen und sorgten für unbändiges Staunen. Und wenn das schillernde Völkchen irgendwann weiterzog, blieb immer noch das gute Gefühl, in eine geheimnisvolle Wunderwelt geblickt zu haben. Heute bringen die modernen Medien die Welt mit all ihren Geheimnissen in jedes Wohnzimmer. Und dennoch haben zirzensische Lustbarkeiten nichts von ihrer Faszination verloren. Weil das unmittelbare Erlebnis magisch anzieht. Und weil wir spüren, dass der Zirkus die letzte Oase der Romantik ist in einer Zeit, die alles tut, um uns das Staunen abzugewöhnen. Das macht Ralph Suns neue Show „Circus Circus“ so sehenswert, die nun im Stuttgarter Friedrichsbau-Varieté Premiere feierte.

Varieté ist immer dann am schönsten, wenn es leicht und beschwingt über die Bühne geht und wenn das Publikum nicht ahnt, dass hinter allem harte Arbeit steckt. Vorzügliche Künstler und Artisten gibt es viele, doch aus Einzelkönnern muss sich noch lange kein perfekt harmonierendes Ensemble zusammenfügen. Ralph Sun hat schon oft bewiesen, dass er ein Händchen für das große Ganze besitzt. Und er hat für „Circus, Circus“ Künstler engagiert, denen man anmerkt, mit welcher Begeisterung sie bei der Sache sind: Artistische Finesse, feinsinniger Humor, ein gutes Gespür für die richtige Balance zwischen poetischen, spektakulären und heiteren Momenten und ein wohl dosierter Schuss Skurrilität ergeben ein stimmiges Gesamtkunstwerk, das von der ersten bis zur letzten Nummer fasziniert.

Sprung durch den Höllenreif

Mit leichter Hand führt der Schweizer Weißclown Merlin durchs Programm. Er plaudert und rezitiert, spöttelt und tanzt, singt und philosophiert. Merlin beherrscht die poetischen Töne ebenso wie die exaltierten und die überkandidelt verrückten - und sogar die tiefschwarzen, wenn er zur Grabrede ansetzt.

Und zwischendurch spielt er seinen Kolleginnen und Kollegen immer wieder elegant die Bälle zu - etwa der Berlinerin Silea: Sie zeigt komödiantisches Talent, wenn sie ihre Katze zum „Todessprung durch den Höllenreif“ animiert und dabei vergessen lässt, dass man es nur mit einer Handpuppe zu tun hat. Sie tanzt federleicht auf dem Drahtseil, balanciert auf Flaschen, verschluckt Rasierklingen und zaubert sie wieder hervor und becirct nebenbei das Publikum, wenn sie mit gespitzten Lippen und charmantem französischem Akzent parliert.

Einen der poetischsten Momente erlebt die Show gleich zu Beginn. Anmutig und elegant zeigt die russische Künstlerin Olga Golubeva eine starke Nummer an der Flying Pole, die einer alten Straßenlaterne nachempfunden ist. Und als ob das noch nicht knifflig genug wäre, knickt der Mast plötzlich ab, um noch mehr artistische Möglichkeiten zu eröffnen. Das alles präsentiert Olga Golubeva im nostalgischen Flair des alten Paris.

Jongleure dürfen in einem Zirkus ebenfalls nicht fehlen - wie die Circus Follies Jacopo Candeloro und Flor Luludi. Die beiden sind vorzügliche Jongleure und Equilibristen, sie lassen Keulen und Hüte fliegen und balancieren auf dem Einrad. Und jenes selbstironische Augenzwinkern, mit dem die beiden sich und ihre Darbietungen betrachten, lässt auch die Zuschauer diesen Auftritt der Circus Follis mit einem Lächeln quittieren. Dagegen wirkt Ruslan Sementsov fast ein bisschen diabolisch: Geschminkt wie ein Horror-Clown lässt er das Cyr-Wheel kreisen - einen mannshohen stählernen Ring, an dem er mit Kraft und Eleganz die tollsten Kunststücke zeigt. Und weil er Ästhetik und unbändige Kraft in sich vereint, nimmt er beim Schlussapplaus gerne auch mal seine Kollegin Nanou im wahrsten Wortsinn auf den Arm.

Die bezaubernde Französin erweist sich als Equilibristin par excellence. Mitten im Publikum präsentiert sie eine handakrobatische Performance voller Anmut und Leichtigkeit - und man ist hautnah dabei und kann nur staunen, wie Nanou bei einer derart kräftezehrenden Nummer trotzdem stets ein entspanntes Lächeln zeigt.

Wer in den Annalen der zirzensischen Künste blättert, wird vielen Darbietungen begegnen, die man heute nur noch selten zu sehen bekommt. So wie den Fangstuhl, ein traditionsreiches Utensil der Akrobatik. Das Duo Tito & Du zeigt, wie viel Spaß man damit haben kann: Die beiden inszenieren sich als perfekte Knallchargen. Einer will ständig den anderen übertrumpfen - vor allem dann, wenn sie so tun, als würden sie um die Gunst einer Dame im Publikum buhlen. Doch wenn sie erst mal zeigen, was sie können, merkt jeder sofort, wie viel artistisches Talent in ihnen steckt.

Knöpfe aus dem Nichts

Aus Brasilien ist Dan Marques dabei - ein im wahrsten Wortsinn zauberhafter Komödiant, der sein Publikum mit einem Button-Act in Staunen versetzt: Nonchalant lächelnd lässt er an seinem Jackett Knöpfe verschwinden und in unterschiedlichsten Größen wieder auftauchen, und während man noch rätselt, wie er das wohl macht, setzt er noch einen drauf und braucht nur einen Wimpernschlag, um zwei Dutzend Knöpfe aus dem Nichts erscheinen zu lassen. Denn auch das ist Varieté: die Kunst, die Zuschauer mit immer neuen unglaublichen Darbietungen zu verblüffen - so wie das der finnischen Künstlerin Lucky Hell auf ganz eigene Weise gelingt: Von Kopf bis Fuß tätowiert, lässt sie vom kurzen Dolch bis zum langen Schwert ein blitzgefährliches Utensil nach dem anderen in ihrer Kehle verschwinden. Und das Publikum kommt aus dem Staunen kaum mehr heraus und spürt: Unter all den feinen Friedrichsbau-Shows ist „Circus Circus“ eine der besten, weil jeder, der sich auf diese zauberhafte Atmosphäre einlässt, im Handumdrehen sein Herz für all die schrägen Vögel entdeckt, die sich da in der Manege tummeln.

Vorstellungen bis 18. Februar 2018 jeweils mittwochs bis samstags 20 Uhr sowie sonntags 18 Uhr. Keine Vorstellung am 16. November, Zusatzvorstellungen an den Weihnachtsfeiertagen und an Silvester.

www.friedrichsbau.de