Ein Arzt bespricht per Videochat mit einer Patientin ihre Beschwerden - so ähnlich soll das Projekt DocDirekt funktionieren. Foto: Fotolia Quelle: Unbekannt

Von Elke Hauptmann

Stuttgart - Der Rücken zwickt, der Schmerz zieht sich hinunter bis ins Bein. Geht das von selbst weg oder sollte man zum Arzt? In Stuttgart können sich gesetzlich Krankenversicherte künftig vom Sofa aus telefonisch von einem Arzt beraten lassen. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) startet ihr zunächst auf zwei Jahre angelegtes Pilotprojekt DocDirekt voraussichtlich im Mai.

Mit DocDirekt etabliert die Kassenärztliche Vereinigung ein telemedizinisches Verfahren zur Fernbehandlungen von akuten Erkrankungen. Kassen-Versicherte, die ihren Hausarzt nicht erreichen oder vielleicht gar keinen haben, können von Montag bis Freitag zwischen 9 und 19 Uhr ein Callcenter anrufen. Dort wird zunächst die Dringlichkeit abgeklärt und der Patient an die richtige Adresse weitergeleitet - bei einem Notfall an die 112, sonst an die Tele-Sprechstunde: Ein Arzt ruft den Patienten, idealerweise innerhalb von 30 Minuten, zurück und klärt per Telefon, Handy-App oder Videochat die Beschwerden ab. Er entscheidet, ob der Patient noch am gleichen Tag eine dienstbereite Praxis in seiner Nähe aufsuchen sollte - oder gibt, etwa bei leichten Erkrankungen wie einer Magen-Darm-Verstimmung, entsprechende Behandlungstipps. Der Tele-Arzt kann Diagnosen stellen, Rezepte versenden und soll künftig sogar krankschreiben können. Für den Service erhalten die Mediziner eine separate Vergütung: 25 Euro erhält ein Tele-Arzt je Anruf; Praxen, die einen über DocDirekt vermittelten Patienten behandeln, erhalten einen Zuschlag von 20 Euro.

Johannes Fechner, Vorstandsvizechef der KVBW, stellte das Pilotprojekt gestern im Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderates vor. Es ist das erste von den gesetzlichen Krankenkassen mitgetragene Vorhaben dieser Art in Deutschland. Privatwirtschaftlich gibt es solche Angebote schon, diese müssen aber von den Patienten selbst bezahlt werden. Das Modell basiert auf einer bundesweit einmaligen Regelung der ärztlichen Berufsordnung in Baden-Württemberg. Durfte die Behandlung über Kommunikationsnetze bislang nur mit Bestandspatienten erfolgen, ist dies jetzt auch möglich mit Patienten, die der Arzt oder die Ärztin nicht kennt. DocDirekt startet zunächst nur in zwei Regionen: in Stuttgart und Tuttlingen. Für diesen Modellversuch hat sich die Kassenärztliche Vereinigung bewusst für einen Stadtkreis und eine eher ländliche Kommune entschieden, um Erfahrungen vergleichen zu können. Erwartet wird jedoch, dass das Modell in Zukunft flächendeckend angeboten werden kann.

Mit einer Öffentlichkeitskampagne soll kurz vor dem Start auf das Projekt aufmerksam gemacht werden. Die Kassenärztliche Vereinigung rechnet mit einem großen Interesse. Allerdings habe man keine Information, wie viele gesetzliche Versicherte in Stuttgart oder Tuttlingen leben - und deshalb könne man auch keine Prognosen abgeben, wie häufig die Tele-Sprechstunde genutzt wird, räumt KVBW-Sprecher Kai Sonntag ein. Für die Anfragen will die in Stuttgart ansässige Vereinigung eigens vier Mitarbeiterinnen einstellen. Wie viele Ärzte und Praxen sich an dem Pilotprojekt beteiligen werden, steht noch nicht konkret fest. „Die Gespräche sind noch nicht abgeschlossen.“ Gestartet wird mit Allgemeinmedizinern und Kinderärzten.

Die Erwartungen an den Modellversuch, den das Land finanziell unterstützt, sind hoch. Unter anderem soll DocDirekt die Notfallambulanzen der Krankenhäuser entlasten. Im Klinikum Stuttgart zum Beispiel beobachtet man mit Sorge, dass immer mehr Menschen in die Notaufnahme kommen, weil sie nicht auf einen Termin bei ihrem Hausarzt warten wollen. Ein Rückgang von 15 Prozent bei unnötigen Besuchen in der Notaufnahme würde die Kassenärztliche Vereinigung als Erfolg werten. Durch die Patientensteuerung sollen aber auch niedergelassene Ärzte entlastet werden.