Für das Straßenmusiker-Duo „Parallel“, bestehend aus Francesco Caruso (links) und Koray Cinar, ist die Königstraße schon seit zehn Jahren die große Bühne. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Thembi Wolf

Stuttgart - Mit kurzen Hosen und Dreitagebart treten Koray und Francesco vom Duo „Parallel“ auf die Bühne. Das Publikum ist schon da, die Bühne immer bereit. Koray (25) und Francesco (30) sind Straßenmusiker in Stuttgart. Mit den ersten Sommertagen beginnt ihre Konzertsaison auf der wohl härtesten Bühne der Welt.

Längst haben sich die Bordsteinkonzerte vom öffentlichen Ärgernis zur ernsthaften Karriereoption für junge Musiker gemausert. Mittlerweile hat sich in Deutschland eine richtige Szene etabliert. Man kennt sich - und geht sich schon mal aus dem Weg, um sich nicht die Spielplätze streitig zu machen. Musiker berichten von Spitzenverdiensten bis zu 100 Euro in einer halben Stunde. Die Regel ist das allerdings nicht.

Nicht alles ist auf der Straße erlaubt. Hier gilt das Gesetz der Ordnungsämter. In speziellen Verordnungen regeln die großen baden-württembergischen Städte, wo, wann und wie lange gespielt werden darf. Verstärker und laute Instrumente wie Trompeten sind demnach überall verboten. Meist ist das Musizieren nur zur vollen Stunde für maximal 30 Minuten erlaubt. Mitunter gibt es auch kuriose Vorschriften: So sind in Stuttgart Dudelsackpfeifen ausdrücklich verboten. Doch die Regeln durchzusetzen, ist nicht einfach.

Etwa zehn Beschwerden über Straßenmusiker registriert das Ordnungsamt der Landeshauptstadt im Jahr. Schon stattlicher ist die Zahl der Musiker, die gegen die Auflagen verstoßen: 167 waren es im vergangenen Jahr. Das seien zwar 42 mehr als 2015. Für Hans-Jörg Longin, Leiter des städtischen Vollzugsdienstes, ist das dennoch kein Grund zur Sorge, die Regeln der Stadt hält er für ausreichend. „Wir müssen ja nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen.“ Es gebe die Möglichkeit, Strafen zwischen 20 und 5000 Euro zu verhängen. Die „Höchststrafe“ hat aber noch kein Musiker bekommen. „Bei Unbelehrbaren beschlagnahmen wir eher mal das Instrument.“ So stehen beim Ordnungsamt von Zeit zu Zeit herrenlose Akkordeons. In der Regel können die Musiker sie nach 14 Tagen wieder abholen.

Trotz der strengen Regeln wächst die Konkurrenz. „Früher gab es nicht so viele Musiker. Jetzt gibt es Tage, da müssen wir um einen Platz kämpfen“, sagt Koray. „Parallel“ sind fast Veteranen der Straßenmusik: Seit ihrem ersten Auftritt auf der Königstraße vor zehn Jahren haben sie in ganz Deutschland und Europa gespielt. Ihren Musikstil nennen sie groovigen Motown Pop mit deutschen Texten. „Die Straße ist die beste Schule für Musiker. Man hat immer ein ehrliches Publikum. Alles, was wir bisher erreicht haben, kam durch die Straße“, sagt Francesco. Erreicht haben sie einiges: Der Plattenvertrag bei Universal ist unterschrieben, die erste Single gibt es ab Juli auf Spotify. „Trash und Diamanten“ wird sie heißen.

Bis dahin war es für beide ein steiniger Weg. „Mein Vater hatte mir vor zwölf Jahren gesagt: Mach was mit Autos, die gibts auch noch in 100 Jahren.“ Also macht Francesco eine Ausbildung zum Fahrzeuglackierer. „Am Tag nachdem ich mein Zeugnis hatte, hab ich gekündigt.“ Korays Eltern sind dagegen Künstler. Nach dem Schulabschluss war gleich klar, dass er Musiker wird: „Ich kann halt nichts anderes.“ Francesco arbeitet als Barkeeper, als Kellner, vermietet Autos und verkauft Hosen. Neun Jahre schiebt er die Spätschicht in einer Café-Kette auf der Königstraße. Währenddessen baut Koray vor der Tür schon den Verstärker und die Gitarre auf, erzählen sie. Sobald Francesco fertig ist, läuft er die wenigen Meter zu ihrer Stammstelle vor einem Buchladen und singt selbst geschriebene Texte.

Erst vor vier Jahren hatte Francesco den Mut, die Nebenjobs hinzuschmeißen - dank Koray. „Er hat mir Sicherheit gegeben. Wir sind alle Schritte gemeinsam gegangen, Seite an Seite.“ Deswegen, sagen Koray und Francesco, nennen sie sich „Parallel“. Mittlerweile können sie sich das Musikerleben ohne Straßenkonzerte gar nicht mehr vorstellen. „Was wir auf der Straße sehen, verarbeiten wir in Songs“, sagt Koray. In einem Lied singt Francesco: „Niemals darfst du das vergessen, woher du kommst.“

Spielregeln

Straßenmusikanten können eine Stadt beleben, sie freundlicher und bunter gestalten. Allerdings sollten sich nicht nur die Passanten über die Beiträge freuen, sondern auch die Anlieger und die in der Innenstadt arbeitenden Menschen. Deshalb hat die Stadt Stuttgart klare Spielregeln aufgestellt, an die sich die Straßenmusiker halten sollten – bei Nichtbeachtung kann die Polizei einschreiten.
Wer in Stuttgart auf der Straße musizieren will, braucht keine Genehmigung und muss auch keiner Kommission vorspielen, die über die Eignung entscheidet.
Erlaubt ist das Musizieren in der Fußgängerzone der Innenstadt nur an insgesamt acht Stellen, zum Beispiel am Beginn und am Ende der Königtraße sowie auf dem Schlossplatz am Fahnenrondell und neben der Freitreppe, in der Marienstraße Höhe Kleine Königstraße und in der Kronprinzstraße Ecke Büchsenstraße neben dem Brunnen.
Es darf immer nur zur vollen Stunde, jeweils eine halbe Stunde lang musiziert werden. Zwischen 14.30 und 16 Uhr herrscht Ruhezeit.
Nach jeder Pause ist der Standplatz zu wechseln.
Die Benutzung besonders lauter oder störender Musikinstrumente ist nicht erlaubt; dies gilt vor allem für Blechblasinstrumente (Trompete, Posaune), Schlagzeuge und ähnliche Rhythmusinstrumente sowie für Dudelsackpfeifen.
Gruppen von mehr als drei Personen dürfen nicht musizieren.
Lautverstärker sowie Tonübertragungsgeräte aller Art dürfen nicht benutzt werden.