Schurwaldstraße in Stuttgart-Ost: einer der Einsatzorte gegen Schleuserkriminalität Foto: 7aktuell.de/Andreas Werner - 7aktuell.de/Andreas Werner

Sie tricksten mit Scheinehen und mit Doppelgängern: Zwei Schleusernetzwerke sind am Mittwoch in Stuttgart von einem Großaufgebot der Polizei gesprengt worden.

StuttgartSo ein ein großes Aufgebot an Polizeiautos hat der Löwenmarkt in Weilimdorf selten gesehen. Beamte in Uniform und Zivil durchsuchen einen gastronomischen Betrieb, kontrollieren einen Lastwagen, befragen Passanten. Zeitgleich holen Beamte der Bundespolizei in der Schurwaldstraße im Stuttgarter Osten Kisten mit Unterlagen aus einer Asylunterkunft, registrieren und befragen draußen die Bewohner. Hunderte Beamte haben am Mittwochmorgen in Stuttgart nur einen Auftrag: Netzwerke gegen Schleuserkriminalität aufzuspüren. Sie finden gleich zwei.

Für einen 54-Jährigen endet am Mittwoch ein Millionengeschäft mit indischen und pakistanischen Männern. Der Stuttgarter indischer Herkunft hatte eine fast todsichere Methode gefunden, wie abgelehnte Asylbewerber aus Südasien doch zu Aufenthalt und Arbeit in Deutschland kommen konnten – für eine kleine Gebühr von 25 000 Euro. Die Männer mussten nur heiraten – der 54-Jährige hatte dazu zahlreiche griechische Frauen im Angebot. „Schon letztes Jahr wurde im Einwohneramt festgestellt, dass viele griechische Frauen indische Ehemänner haben und hier gar nicht aufhältlich sind“, sagt Polizeisprecher Johannes Freiherr von Gillhaußen. Doch erst als ein Zeuge Namen und Strukturen benannte, wurde klar, dass hier eine Schleuserorganisation dahintersteckte.

„Die Frauen reisten aus Griechenland für ein oder zwei Tage an und brachten eine gefälschte Heiratsurkunde mit“, so Gillhaußen. Die Griechinnen waren als EU-Bürgerinnen Gold wert: Der indische Schein-Ehemann konnte über seine EU-Gattin bei den Behörden eine EU-Aufenthaltskarte ergattern. „Die Frau flog ohne Probleme wieder zurück“, sagt der Polizeisprecher, „eine Ehe waren sie nie eingegangen.“

25 000 Euro pro Fall

Die Stuttgarter Kripo stieß auf ein Netzwerk, bei dem nicht nur der 54-Jährige eine Rolle spielte. Insgesamt acht Tatverdächtige im Alter zwischen 24 und 60 Jahren indischer Herkunft wurden am Mittwoch dem Haftrichter vorgeführt. Insgesamt gerieten 70 Personen ins Visier, 40 Beschuldigte wurden vorübergehend festgenommen. Vorgeworfen werden ihnen Schleusung, gewerbs- und bandenmäßige Urkundenfälschung und Verstöße gegen das Freizügigkeitsgesetz. Mindestens 39 Scheinehen sollen auf diese Weise abgewickelt worden sein. 500 Beamte hatten reichlich zu tun, um 60 Wohnungen, Gastronomiebetriebe und Büros zu durchsuchen. Schwerpunkte waren Stuttgart und Ludwigsburg, aber auch bei den Polizeipräsidien Aalen, Reutlingen, Tuttlingen, Freiburg und Karlsruhe sowie bis ins Saarland hatten die Beamten am Mittwoch reichlich Beweismaterial gesammelt.

Ein dickes Geschäft: Bei einem Gewinn von 25 000 Euro pro Fall dürfte die Gruppierung fast eine Million Euro eingenommen haben. Bei den Razzien wurden mehrere Zehntausend Euro Bargeld und Fahrzeuge im Wert von 80 000 Euro sichergestellt, außerdem 130 000 Euro Guthaben eingefroren. Finanzermittler überprüfen Immobilien im Großraum Stuttgart im Wert von mehreren Millionen Euro.

Doch in der Trickkiste der Schleuserbanden steckt nicht nur die Scheinehe. Um Menschen aus dem Irak illegal einzuschleusen, hat sich eine weitere Organisation auf eine ganz andere Masche konzentriert – den Trick mit dem Doppelgänger. Die mit Schleuserkriminalität stark beschäftigte Bundespolizei hatte am Mittwoch zufälligerweise ebenfalls mehrere Razzien in und um Stuttgart. „Dabei sollten weitere Beweismittel gesichert und Einblicke gewonnen werden“, sagt Ulrich Baisch von der Bundespolizeiinspektion Kriminalitätsbekämpfung.

Nach dem Disco-Prinzip

Die Schleuser der Irak-Connection arbeiteten nach einer anderen Methode – dem Disco-Prinzip. Beispiel: Wenn ein minderjähriger Jugendlicher nicht in die Disco darf, zeigt er eben den Pass seines volljährigen Bruders oder eines ähnlich aussehenden Freundes vor. „In unserem Fall handelt es sich aber um deutsche Reiseausweise für Flüchtlinge, die sich in Deutschland aufhalten“, sagt Ermittler Baisch. Diese Dokumente werden einem Schleuser überlassen, der damit ins Ausland reist und sie einem zahlenden Flüchtling in die Hand drückt. Sozusagen als Freifahrschein über die Grenzen nach Deutschland. „Dabei achtet der Schleuser natürlich darauf, dass der Geschleuste dem Passbesitzer in etwa ähnlich sieht“, sagt Baisch.

Freilich fällt so etwas irgendwann mal auf. Unter anderem fuhren die Einsatzfahrzeuge in der Schurwaldstraße im Stuttgarter Osten vor, um eine Asylunterkunft zu überprüfen. Auch dort soll ein Bewohner seine Dokumente einem Schleuser überlassen haben. Weitere Durchsuchungen gab es außer in Stuttgart in Kornwestheim, Ludwigsburg, Pforzheim und Leverkusen. Als Passvermittler und Schleuser steht ein 28-jähriger Iraker unter Verdacht. Die Ermittlungen sind aber längst noch nicht abgeschlossen.