An der Heilbronner Straße, gegenüber dem Einkaufszentrum Milaneo, wird kräftig umgebaut. Verfassungsschützer gehen davon aus, dass hier Scientology einziehen wird. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth - Lichtgut/Achim Zweygarth

An einem Haus in der Heilbronner Straße wird umgebaut. Laut Verfassungsschutz gehört es der Scientology-Organisation. Die Behörden glauben, dass dort eine große Niederlassung öffnen könnte.

StuttgartDas große Gebäude an der Ecke Heilbronner und Tunzhofer Straße ist eine Baustelle. Ein Gerüst zieht sich um die Fassade, innen gehen Handwerker ein und aus. Ins gegenüberliegende Einkaufszentrum Milaneo strömen derweil die Kunden. Ein prominenter Ort für ein großes Vorhaben. Dort könnte bald die umstrittene Scientology-Organisation, die sich selbst als Kirche sieht, von Verfassungsschützern und Aussteigern aber als Sekte eingestuft wird, eine neue große Niederlassung eröffnen, eine sogenannte Ideale Org. Was eine überraschende Wendung wäre.

Bisher sitzt Scientology in Stuttgart wenig repräsentativ im Mischgebiet in Bad Cannstatt. Nach Erkenntnissen der Behörden hat die Organisation das Gebäude an der Heilbronner Straße bereits 2010 über einen Rechtsanwalt in Israel erworben – für acht Millionen Euro, möglicherweise finanziert über Spenden der Stuttgarter Mitglieder. Eine wahre Räuberpistole, wanderte doch der Anwalt kurz darauf wegen Kontakten zur organisierten Kriminalität hinter Gitter. Die Immobilie ging an eine zweite israelische Kanzlei. In der Landeshauptstadt tat sich dagegen erstaunlich wenig. Zwar wurden dort immer mal wieder für kurze Zeit Handwerker gesichtet, die verschwanden aber jedes Mal schnell wieder. Diesmal nicht: Seit Monaten wird das 6000 Quadratmeter Fläche umfassende Haus umgebaut. „Ein Überraschungscoup“

Beim Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) beobachtet man die Entwicklung genau. „Die Renovierungsarbeiten am Gebäude in der Heilbronner Straße, die seit der zweiten Jahreshälfte 2017 laufen, sind uns bekannt“, sagt ein Sprecher. Man gehe davon aus, dass eine Eröffnung in diesem Jahr „im Rahmen des Möglichen“ liege. Und: „Eventuell könnte dies als Überraschungscoup erfolgen, wie es in anderen Städten geschehen ist“, erläuterte der Sprecher weiter. Als Beispiele für ähnlich langwierige Projekte mit langem Leerstand nennt das LfV Budapest oder das englische Gateshead. In solchen Fällen wurde mal nach Jahren eine Niederlassung eröffnet, mal noch immer nicht.

Nach Erkenntnissen der Behörden hätten in Stuttgart unter anderem finanzielle Probleme zu den Verzögerungen geführt. Man habe zudem Indizien dafür, dass die internationale Scientology-Führung der Stuttgarter Niederlassung die Verantwortung für das Projekt vor längerer Zeit entzogen habe und man deshalb in der Landeshauptstadt den Zeitplan gar nicht mehr in der Hand habe.

Scientology hat den Erwerb des Gebäudes nie offiziell bestätigt, allerdings auch nicht abgestritten. Auch jetzt hält man sich bedeckt. Man könne im Moment nichts Neues sagen, teilt ein Sprecher der Organisation mit. Und: „Sobald konkrete Informationen vorliegen, werden wir diese ganz sicher bekannt machen.“ Laut dem Verfassungsschutz hat Scientology einen großen Wurf mit einer neuen Repräsentanz bitter nötig, denn die Zahl der Mitglieder sinke seit Jahren – und auch der Einfluss. 1997, als die Beobachtung der Organisation durch die Behörden begann, habe es noch mehr als 1200 Scientologen in Baden-Württemberg gegeben. Inzwischen gehe man von noch etwa 800 Mitgliedern aus. Allerdings, räumt man beim LfV ein, sei die Organisation im Südwesten – im Unterschied zu anderen Bundesländern – „noch in der Fläche präsent, vor allem im mittleren Neckarraum“. Deshalb gelte es innerhalb von Scientology als bedeutend, in dieser wirtschaftsstarken Region einflussreich zu bleiben. Generell sei es der Organisation wichtig, „nach außen und innen eine permanente Expansion vorzuspiegeln, die in Wirklichkeit nicht stattfindet“. Eine überraschende glanzvolle Eröffnung der Idealen Org Stuttgart „könnte genau diesem Zweck dienen – und außerdem dazu, die eigenen Mitglieder zu motivieren“, heißt es beim LfV. Dafür wolle die Organisation offenbar 150 Mitarbeiter rekrutieren, auch durch Abzug von Personal aus anderen Niederlassungen. Zahlen werden bestritten

Bei Scientology bestreitet man die Zahlen der Behörden. „Was der Verfassungsschutz behauptet, ist völlig aus der Luft gegriffen“, sagt der Sprecher. Im Umkreis von Stuttgart betreue man etwa 2000 Personen. „Die kommen natürlich nicht alle jede Woche nach Stuttgart in die Kirche. Wir verlieren keine Mitglieder. Die Zahl der hauptamtlich für uns Tätigen hat sich in den vergangenen ein, zwei Jahren eher verdoppelt.“ Einig ist man sich mit den Verfassungsschützern aber in einem Punkt: „Baden-Württemberg ist eine unserer aktivsten Regionen in Deutschland.“ Das könnte bald auch sichtbar sein.

Hintergrund

Scientology geht auf den US-Schriftsteller Lafayette Ronald Hubbard zurück. Er gründete die Organisation 1954. Die Grundlage für seine Lehren bildet eine Reihe von Psychotechniken, aus denen sich mit der Zeit ein Gedankensystem entwickelt hat. Scientology sieht sich als Kirche und besitzt in einigen Ländern, etwa den USA, trotz Diskussionen über Methoden und Ziele den Status als Religionsgemeinschaft. In Deutschland wird die Organisation seit 1997 vom Verfassungsschutz beobachtet. Sie wird von vielen Kritikern und Aussteigern als Sekte eingestuft. Der Stuttgarter Ableger von Scientology hat seinen Sitz in der Reichenbachstraße in Bad Cannstatt. Im Umkreis gibt es sogenannte Missionen, etwa in Göppingen und Ulm. (red)