Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Rund ein Jahr hat das Linden-Museum sämtliche Objekte, die zwischen 1933 und 1945 erworben wurden, systematisch unter die Lupe genommen. Bei mehr als 1000 „verdächtigen“ Ausstellungsstücken aus 25 Sammlungen galt es, die Herkunft und die Besitzverhältnisse zu klären. Jetzt wurden erste Ergebnisse des Provenienzforschungsprojekts veröffentlicht. Bei der Mehrzahl der untersuchten Objekte fanden sich keine Hinweise auf einen unrechtmäßigen Besitz.

Die Untersuchung, die von April 2016 bis März 2017 in den Archiven des Linden-Museums durchgeführt wurde, hatte etwas von Detektivarbeit. Kaufbelege wurden in den Eingangsakten geprüft, jede Erwähnung in den Geschäftsbüchern und jeder Stempel ausgewertet. Selbst eine kleine Notiz am Rand eines Buches konnte auf der Suche nach dem rechtmäßigen Eigentümer von teilweise sehr wertvollen Kunstobjekten entscheidend sein. Die Frage, die sich die Forscher bei ihrer Arbeit stellen mussten: Hat das Linden-Museum die Objekte während der NS-Zeit unrechtmäßig erworben - also wurde auf den Verkäufer auf irgendeine Weise Druck ausgeübt? Von 1933 bis 1945 gingen etwa 300 Sammlungen mit insgesamt 5000 Objekten in den Besitz des Linden-Museums über. Mithilfe von Eingangslisten aus der Museumsdatenbank konnte die Zahl der verdächtigen Stücke auf 1082 reduziert werden. Ihre Herkunft galt es, im Rahmen des Projektes, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, dem Land und der Stadt Stuttgart gefördert wurde, zu erforschen.

In 370 Fällen konnten die Besitzverhältnisse vollständig aufgeklärt werden, bei weiteren 397 Objekten fanden sich keine Indizien für „verfolgungsbedingten Entzug“, so ein Sprecher des Linden-Museums. Obwohl es unwahrscheinlich erscheine, seien jedoch weitere Recherchen notwendig. 315 Objekte sind schwer einzuschätzen, da sie mit dem Kunsthandel und Polizeiinstitutionen in Verbindung stehen. Sie bedürfen einer weiteren Erforschung. Gesichert sei, dass während der NS-Zeit vonseiten des Linden-Museums keine Auktionskäufe stattfanden. Ebenfalls gibt es keine Hinweise auf den Erwerb von Raub- und Beutekunst.

33 Objekte der Sammlung Grünwald gingen definitiv unter dem Druck der nationalsozialistischen Judenverfolgung in den Besitz des Linden-Museum über. Adolf Grünwald (1881 - 1961), Stuttgarter Kaufmann mit jüdischer Herkunft, musste mit seiner Familie emigrieren. Während die Familie Ende 1937 ihre Ausreise plante, Dinge für den Umzug packte und eine Speditionsfirma mit einem Transport beauftragte, entschied Grünwald sich, seine Privatsammlung an ethnologischen Objekten, Büchern und Fotos an das Linden-Museum abzugeben. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Stücke aus Ostasien.

Anfang Februar 1938 wanderte die Familie über Zürich, Wien und Genua nach Santos in Brasilien aus. Im Januar 1939 verlor die Familie ihre deutsche Staatsangehörigkeit und wurde ausgebürgert. Damit mussten sie als Staatenlose in Südamerika ein neues Leben beginnen. Da die Schenkung Grünwalds an das Linden-Museum in einer Zwangslage vorgenommen wurde, handelt es sich zweifelsfrei um einen unrechtmäßigen Erwerb von Kulturgut. 14 Objekte dieser Sammlung wurden daher in den 1950er Jahren bereits an die Familie zurückgegeben.

Die noch in den Sammlungen des Museums befindlichen Objekte wurden jetzt in der Datenbank Lost Art veröffentlicht. Sie dient der Erfassung von Kulturgütern, die infolge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs verbracht, verlagert oder - insbesondere jüdischen Eigentümern - verfolgungsbedingt entzogen wurden. Betreiber der Datenbank ist das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg. Es ist sowohl national als auch international der zentrale Ansprechpartner im Bereich der Provenienzforschung. Auf NS-Raubkunst liegt das Hauptaugenmerk der Einrichtung. Die Arbeitsgrundlage des Zentrums stellen die 1998 verabschiedeten „Washingtoner Prinzipien“ dar. Ein Jahr später hat sich auch die Bundesrepublik zu deren Umsetzung im Sinne ihrer historischen und moralischen Selbstverpflichtung bereit erklärt. Gegründet wurde das Zentrum unter anderem vom Bund und den Ländern erst Anfang Januar 2015.