Uni Hohenheim Foto: dpa/Marijan Murat - dpa/Marijan Murat

Der massenhafte Prüfungsabbruch von Wirtschaftsstudenten vor gut einem Jahr holt die Betroffenen jetzt wieder ein. Gegen knapp hundert ermittelt nun die Staatsanwaltschaft.

StuttgartAn der Uni Hohenheim ist über die sogenannte Attestaffäre schon beinahe Gras gewachsen – bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart nicht. Wie am Dienstag bekannt wurde, ermittelt diese derzeit nicht nur gegen einen Arzt, sondern hat jetzt auch gegen knapp 100 Studenten der Wirtschaftswissenschaften Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das erklärte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Stuttgart, Heiner Römhild auf Anfrage unserer Zeitung.

Die Studenten stehen unter dem Verdacht, sogenannte unrichtige Gesundheitszeugnisse gebraucht zu haben. Ihnen drohe somit eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, so Römhild. Gegen den Arzt wird ermittelt, weil er ihnen diese Atteste ausgestellt haben soll.

Die ganze Sache war durch einen massenhaften Prüfungsabbruch von 75 Studenten der Wirtschaftswissenschaften am 23. Mai 2018 ins Rollen gekommen. Diese hatten bei der Grundlagenprüfung in Finanzwirtschaft spontan den Saal verlassen, angeblich aus Krankheitsgründen, und der Uni dann nahezu gleichlautende Atteste vom selben Arzt vorgelegt. Später stellte sich heraus, dass dieser zwischen 23. und 25. Mai insgesamt 148 Studenten Atteste ausgestellt hatte. Daraufhin hakte das Prüfungsamt der Uni genauer nach und zweifelte schließlich 125 der 148 eingereichten Atteste an. „Die Uni Hohenheim sieht es als zweifelhaft an, dass überhaupt ausreichende Untersuchungen stattgefunden haben, um die Prüfungsfähigkeit festzustellen“, hatte damals der Hohenheimer Unisprecher Florian Klebs erklärt. Bei 99 Krankmeldern akzeptierte die Uni auch weitere nachgereichte Stellungnahmen oder Atteste nicht. 29 von ihnen legten Widerspruch dagegen ein, nicht alle hatten damit Erfolg.

Für zwei der Prüfungsabbrecher hatte die Sache bereits massive Folgen: Da es ihr dritter Prüfungsversuch war, galt dieser mangels eines anerkannten Attests als nicht bestanden – sie wurden exmatrikuliert. Folgen hat die ganze Sache auch für den Arzt, der die Atteste ausgestellt hat. Die Berichte unserer Zeitung über die Attestaffäre hatte auch die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen. Seit Juli 2018 ermittelt sie gegen den Mediziner wegen des Verdachts, dass er möglicherweise 145 falsche Gesundheitszeugnisse ausgestellt haben könnte. Damals hatten die Beamten auch seine Praxisräume durchsucht und umfangreiche Unterlagen und Dateien beschlagnahmt. Strafrechtlich drohen dem Mediziner eine Geldstrafe bis zu 360 Tagessätze oder eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren – „für einen Fall“, so Römhild.

In die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen fließen nun auch die Stellungnahmen der unter Verdacht stehenden Studenten ein. Ihnen habe man Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern, so Staatsanwalt Römhild. Unabhängig von einer Strafverfolgung können Unregelmäßigkeiten von Ärzten auch bei den Bezirksärztekammern angezeigt werden. Darauf hatte die Uni verzichtet.