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Der Zerfall der AfD im Stuttgarter Rathaus setzt sich fort: Ex-Fraktionschef Bernd Klingler tritt aus der Partei aus und bildet mit Ex-AfD-Stadrat Heinrich Fiechtner eine neue Gruppe im Rat.

StuttgartDer Wahlabend des 25. Mai 2014 war für die damals noch junge Alternative für Deutschland (AfD) ein Grund zum Jubeln. Auf Anhieb entsandte die Partei mit Lothar Maier, Eberhard Brett und Heinrich Fiechtner drei Stadträte in den neu gewählten Stuttgarter Gemeinderat – ein Jahr später erlangte sie durch den von der FDP übergelaufenen Bernd Klingler gar Fraktionsstatus. Nach außen hin präsentierte sich die Fraktion gern als verschworener Haufen, der mit dem „Mut zur Wahrheit“ (so ein AfD-Wahlslogan) die etablierten Parteien das Fürchten lehren wollte. Ein Jahr vor der nächsten Kommunalwahl ist von den hehren Ansprüchen nichts mehr übrig.

Die Fraktion existiert nicht mehr, und bald wird mit Brett nur noch ein AfD-Parteimitglied im Rathaus vertreten sein. Nach Informationen unserer Zeitung kehrt auch der frühere Fraktionschef Bernd Klingler der AfD den Rücken: „Ich trete mit sofortiger Wirkung aus der Partei aus“, bestätigte Klingler am Mittwoch auf Anfrage.

Zuvor hatte bereits der Stadtrat und Landtagsabgeordnete Fiechtner der AfD den Rücken gekehrt. Der Bundestagsabgeordnete Maier sucht derweil sein Heil bei der AfD-Fraktion im Berliner Reichstag, und sein Nachrücker Walter Schupeck, früher in der AfD und inzwischen Mitglied bei den Liberal-Konservativen Reformern (LKR) des einstigen Parteimitbegründers Bernd Lucke, will keinesfalls mehr unter AfD-Flagge segeln. Lediglich der Ex-Christdemokrat Brett, der mit seinem Austritt das Ende der Fraktion besiegelt hatte, hat noch ein AfD-Parteibuch in der Tasche. An einen Verzicht auf das Stadtratsmandat denken aber weder er noch Klingler oder Fiechtner: Letztgenannte wollen stattdessen unter dem etwas sperrigen Namen Bündnis Zukunft Stuttgart 23 (BZS 23) eine Zweiergruppe im Rathaus bilden. Schupeck und Brett werden als Einzelstadträte auf der Hinterbank im Ratssaal Platz nehmen.

Kurz: Die AfD im Rathaus hat sich pulverisiert. Dass es mit der alternativen Politik für Deutschland, die im Parteinamen versprochen wird, nicht weit her ist, hatte sich schon bald nach ihrem Einzug ins Stuttgarter Rathaus abgezeichnet. Statt ausgefeilte politische Vorschläge zu präsentieren, fielen die AfD-Stadträte meist nur durch plumpe Provokationen und Agitation auf. Erinnert sei hier nur an Fiechtners Beleidigung von OB Fritz Kuhn (Grüne) als einem „miesen faschistoid-populistischen Scharfmacher“.

Auch der Ex-Liberale Bernd Klingler passte sich zügig der AfD-Diktion an; während der Flüchtlingswelle 2015 warnte er in einem Facebook-Video vor „Eindringlingen, die unsere Sozialsysteme aussaugen“. Brett wiederum gefiel sich darin, die gesundheitsschädliche Wirkung der Luftverschmutzung ein ums andere Mal infrage zu stellen und nebenbei führende EU-Politiker für verrückt zu erklären. „Die Furcht vor der Wirkung von Stickoxiden ist wie die Vorstellung im Mittelalter, dass die Erde eine Scheibe ist.

Jean-Claude Juncker ist irre“, ließ Brett etwa wissen. Vergeblich bemühte sich das Duo an der Fraktionsspitze, der emeritierte Universitätsprofessor Lothar Maier und der FDP-Dissident Klingler, der zusammengewürfelten Truppe ein halbwegs seriöses Image zu verpassen. Negativschlagzeilen produzierte die AfD auch dadurch, dass sich mit Klingler und dem Juristen Brett gleich zwei ihrer Stadträte wegen Vermögensdelikten vor Gericht verantworten mussten. Persönliche Animositäten taten ein Übriges: Dass Fiechtner seinem damaligen Parteifreund Brett die Nominierung für ein Landtagsmandat im Wahlkreis Göppingen vor der Nase wegschnappte, nimmt ihm dieser bis heute übel. Fiechtners ungebremster Hang zur Selbstdarstellung machte aber auch den anderen Fraktionsmitgliedern zunehmend zu schaffen.

Die zunehmende Entfremdung gipfelte darin, dass Brett Fiechtner zuletzt sogar Geld in Aussicht gestellt haben soll, damit dieser sein Ratsmandat niederlegt.

Nach seinem Austritt aus der AfD und deren Landtagsfraktion im vergangenen Herbst wollte Fraktionschef Klingler Fiechtner allerdings zunächst noch interimsweise im Rathaus halten, um die mit dem Fraktionsstatus verbundenen finanziellen Pfründe nicht aufs Spiel zu setzen. Das rief im Stuttgarter AfD-Kreisverband harsche Kritik hervor – nicht nur an dem abtrünnigen Fiechtner, der der AfD mafiöse Strukturen und antisemitische Tendenzen bescheinigt hatte, sondern auch an Klingler. Tagelang lieferten sich die Parteifreunde einen heftigen Schlagabtausch in den sogenannten sozialen Medien, der schließlich in Klinglers Verzicht auf eine erneute Kandidatur für das Amt des Kreissprechers gipfelte. Fiechtner wiederum widerrief seine feste Zusage, spätestens im Februar seine Stadtratstätigkeit zu beenden, und nannte als Grund den Versuch, ihm sein Mandat abkaufen zu wollen.

Auch BerndKlingler will mit der Partei nichts mehr am Hut haben. „Ich fühle mich verschaukelt“, sagt er. Er sei damals auch deshalb gewechselt, weil man ihm zugesagt habe, mit ihm an der Spitze das liberale Element in der als rechtspopulistisch verschrienen Partei stärken zu wollen. Stattdessen sei die AfD zu einer Ein-Themen-Partei verkommen, die sich ganz auf die Islamkritik und Ausländerpolitik fokussiere.

Klingler sagt: „Die AfD hat keinen politischen Businessplan.“ Mittlerweile gäben „Egomanen“ und „Selbstdarsteller“ in der Kreispartei den Ton an. Damit meint Klingler nicht nur jene Mitglieder des Parteivorstands, mit denen er über Kreuz liegt, sondern auch seine Ex-Mitstreiter Brett und Maier. Vom Fraktionsaustritt Bretts sei er in einer Ausschusssitzung überrumpelt worden, und Maiers plötzlicher Abgang sei ebenfalls aus heiterem Himmel erfolgt.