Zur Zeit kommt Laura Siegemund auf sechs Stunden Reha täglich, seit vier Wochen ist sie ohne Krücken. Foto: privat Quelle: Unbekannt

Stuttgart - Die zweitbeste deutsche Tennisspielerin Laura Siegemund aus Metzingen zog sich keine vier Wochen nach ihrem Turnier-Triumph von Stuttgart „in der Form meines Lebens“ beim Turnier in Nürnberg am 25. Mai diesen Jahres im rechten Knie einen Kreuzbandriss zu. „Auch wenn Tennis für mich derzeit weit weg ist, geht mein Blick nach vorne. Ich stecke all meine Kraft in eine schnellstmögliche Genesung, denn ich will wieder gut Tennis spielen. Aber ich setze mich nicht unter Druck“, sagte Siegemund im Interview.

Sie haben so eine schwere Verletzung erlitten, dass Sie jetzt vor gar nichts mehr Angst haben müssen.

Siegemund: Dass ich vor gar nichts mehr Angst haben muss, so sehe ich es nicht. Der Kreuzbandriss ist - wenn auch keine typische Tennisverletzung, so doch eine klassische Sportverletzung. Aber es ist keine Verletzung, die von vornherein das Karriereende bedeutet.

Aber es ist doch sehr schlimm, wenn man wie Sie im absoluten Höhenflug ist und dann schlagartig alles ohne eigenes Verschulden zerstört wird.

Siegemund: Nach den ersten Schockmomenten und der emotionalen Betroffenheit, gerade noch ein Match zu gewinnen und in der nächsten Sekunde mich mit einer OP auseinandersetzen zu müssen, ist bei mir recht schnell eine realistische Einschätzung gefolgt. Verletzungen gehören zum Leistungssport dazu, auch wenn ich noch nie in meiner Karriere einen Kreuzbandriss erlitten habe. Da muss man professionell mit umgehen und darf sich nicht hängen lassen, denn davon geht ja die Welt nicht unter. Natürlich ist so eine Verletzung dramatisch und es war auch für mich eine Extremsituation, auf den Nullpunkt runterzukommen und zu erkennen: Ich kann jetzt gar nichts mehr. Aber diese Situation muss man, wenn man Profi ist, dann spätestens mit etwas Abstand handhaben können. Dass in jeder Krise Chancen liegen, dass man selbst der schlimmsten Situation noch etwas Positives abgewinnen kann, das sollte man nicht aus den Augen verlieren.

Was hat Ihnen nach dem Unfall am meisten geholfen?

Siegemund: Eine ganz wichtige Stütze im ersten Moment waren mein Freund und meine Eltern, die vor Ort waren, weil es ja bei einem deutschen Turnier passiert ist. Danach habe ich unheimlich viel Zuspruch von anderen Spielerinnen, dem Deutschen Tennis-Bund, von Bekannten, Freunden und Fans erhalten. Gefühlt hat jeder Mensch, der mich auch nur irgendwie kennt, mit teils ganz tollen und lieben Nachrichten über die verschiedensten Kanäle Anteil genommen. Das hat mich riesig gefreut und mich aufgebaut.

Wann und wo wurden Sie operiert?

Siegemund: Ich bin direkt zwei Tage nach dem Vorfall in Tübingen in der BG operiert worden. Mein Kreuzband wurde ersetzt. Das lag an der Art, wie es gerissen war. Bei mir war es eine komplexere Verletzung. Das bedeutet aber auch, dass der Reha-Prozess schwerer ist und mehr Zeit braucht. Ich komme zurzeit auf sechs Stunden Reha täglich, habe aber nun seit vier Wochen keine Krücken mehr.

Wie lange wird dieser Reha-Prozess bei Ihnen dauern?

Siegemund: Normalerweise heißt es, dass man nach drei, vier Monaten wieder ein paar Bälle auf dem Platz schlagen kann, weil man sich dann auch wieder seitlich bewegen kann. Normalerweise sagt man auch, dass man nach sechs Monaten wieder spielen kann, wenn die Belastbarkeit des Knies stimmt. Aber auch der Kopf muss mitspielen. Man muss in sich selbst wieder Vertrauen haben und seinem Knie wieder trauen. Natürlich trainiere ich mit dem Ziel, so schnell wie möglich wieder gesund zu werden und mit dem Knie wieder die volle Leistungsfähigkeit fürs Tennis zu kriegen. Aber zuerst möchte ich wieder ein Knie, das so gut wie nur irgendwie möglich zusammenheilt, sodass ich wieder ganz fest auf zwei gesunden Beinen stehe.

Sind sie in dieser Hinsicht eher draufgängerisch oder vorsichtiger?

Siegemund: Ich bin vorsichtiger. Ich bin sehr zurückhaltend, wenn ich merke, dass in meinem Körper etwas nicht ganz in Ordnung ist. Dann mache ich lieber ein bisschen weniger als zu viel. Ich will mir keinen Stress oder Druck machen, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt wieder fit sein zu müssen. Das heißt natürlich auch jeden Tag bis zu sechs Stunden harte Arbeit für mich, weil ich eine sehr professionelle Reha mache. Aber wie das Knie zusammenwächst, heilt, voll wieder beweglich wird und ob das alles so optimal weiterläuft wie jetzt am Anfang, kann kein Mensch sagen.

Sind Sie in ein Loch gefallen?

Siegemund: Nein. Natürlich gibt es in so einem Reha-Prozess immer mal wieder Hänger, weil man selbst Erwartungen aufbaut, sich was ganz konkret vornimmt und dann diese Ziele nicht erreicht. Aber ein Fall in ein großes Loch ist bei mir ausgeblieben. Ich denke, ich habe meine Verletzung aus meinem Herzen heraus sehr gut für mich eingeordnet. Ich bin auch in diesem Fall sehr motiviert und ehrgeizig, denn bei mir ist es wurscht, welche Aufgabe man mir gibt. Ich will sie immer, so gut, wie es geht, erledigen. Aber ich muss lernen, loszulassen und Geduld zu haben. Geduld ist nicht so meine Stärke, aber jetzt stelle ich mich gerade ganz gut an. Aber das liegt auch an den guten Physiotherapeuten, Ärzten und allen Leuten, die ich gerade um mich herum habe, die mir realistische Ziele setzen und mit denen ich mich unterhalten kann. Ich sitze also nicht allein mit Problemen herum.

Haben Sie sich aufgrund der Verletzung auch mit Ihrem Karriereende beschäftigt?

Siegemund: Dieser Gedanke ist mir noch nicht ein einziges Mal gekommen. Der Gedanke wurde immer nur von außen an mich herangetragen. Damit habe ich mich überhaupt nicht beschäftigt. Das sage ich auch nicht nur, weil es schön klingt. Daran merke ich selbst aber, dass ich fürs Tennis brenne und wirklich wieder fit werden will. Aber als oberste Regel gilt, dass ich mich nicht durch ein attraktives Turnier wie etwa die Australian Open 2018 zu einer Rückkehr verleiten lassen will, weil ich dann emotional denke, es könnte für mich reichen. Ich will bei meinem Knie bleiben und schauen, wann es fürs Knie der richtige Moment ist.

Wird denn Ihre Kraft körperlich und psychisch ausreichen, wieder das Level im Spitzentennis zu erreichen, das Sie vor der Verletzung hatten?

Siegemund: Ja, ich bin sicher, weil ich vor der Verletzung sehr fit gewesen bin - körperlich wie mental. Das hat mich zuletzt ausgezeichnet. Zur mentalen Fitness gehörte bei mir eine spielspezifische, sodass ich auf dem Platz richtige Entscheidungen traf und dazu widerstandsfähig war, wenn es mal nicht so gut lief. Dafür hatte ich hart gearbeitet und das hat mich zuletzt ausgezeichnet und stark gemacht. Das kommt mir jetzt zugute. Ich bin absolut positiv. Aber ich habe zurzeit auch ein super Team um mich, das mir hilft, diese Zeit jetzt zu überstehen. Das braucht man, denn ganz alleine schafft man das nicht.

Ist es für Sie ein Ansatzpunkt, Ihr Comeback spielerisch anzugehen?

Siegemund: Für mich wäre es das Ziel, dass ich meine Rückkehr spielerisch angehe, denn da habe ich für mich in der Vergangenheit die beste Erfahrung gemacht. Aber das wird vor allem dann sehr schwer werden, wenn ich wieder spiele und mit der Rangliste und Ergebnissen wieder unter Druck stehe. Aber das liegt noch sehr weit entfernt. Aber es ist mein großes Ziel, mir selbst gegenüber eine gewisse Lockerheit zu bewahren.

Die Leute freuen sich angesichts der etwas tristen Situation im deutschen Tennis auf Ihre Rückkehr. Wie funktioniert das konkret?

Siegemund: Ich werde beantragen, mein altes Ranking von Platz 32 in der Welt vor der Verletzung laut Reglement einfrieren zu lassen. Damit rutsche ich dann bei einer bestimmten Anzahl von Turnieren direkt ins Hauptfeld. Aber trotzdem muss ich sofort wieder Punkte sammeln, denn trotz meiner Verletzung läuft mein Punktekonto weiter, verliere ich Zähler, sodass es sehr schwierig bei der Rückkehr sein wird, bis ich dann wieder so weit vorne in der Weltrangliste stehe wie zuvor.

Hat es Sie geschmerzt, Tennis bei den French Open oder bei Wimbledon anzusehen?

Siegemund: Nein. Aber ich sitze auch nicht stundenlang vorm Fernseher. Tennis ist momentan in meinem Leben in den Hintergrund gerückt. Ich habe gerade andere Prioritäten und den Eindruck, dass mir das sehr gut tut.

Wie verbringen Sie Ihre Zeit außerhalb der Reha?

Siegemund: Ich habe zunächst, weil ich nicht mobil war, viel Zeit mit meiner Familie und Freunden verbracht. Ich versuche gerade, viele meiner sozialen Kontakte zu pflegen und richtig aufzutanken, weil ich weiß, es werden auch wieder Zeiten kommen, in denen ich für diese Menschen viel zu wenig Zeit haben werde. Dann hege ich gerade an mich selbst den Anspruch, mich in der Psychologie weiter zu bilden und mit Blick auf meine spätere Laufbahn Konzepte zu entwickeln. So werde ich bald Vorträge auch in Unternehmen halten. Außerdem habe ich nach zehn Jahren wieder angefangen, Klavier zu spielen, worüber ich mich sehr freue. Klavierspielen ist koordinativ sehr anspruchsvoll und fördert auf seine Art auch den Heilungsprozess meiner Verletzung. Also mir ist bislang überhaupt noch nicht langweilig geworden.

Welche Musik spielen Sie denn?

Siegemund: Ich habe mit meinem Klavierlehrer besprochen, dass ich gerne Balladen spielen möchte. Ich möchte etwas Gefühlvolles spielen können wie etwa Adeles „Someone like you“.

Das Interview führte Gabriela Thoma.

Zur Person

Laura Siegemund, geboren am 4. März 1988 in Filderstadt, und wohnhaft in Metzingen war bis Ende Mai, als sie sich beim Turnier in Nürnberg einen Kreuzbandriss im rechten Knie zuzog, die zweitbeste deutsche Tennisspielerin. Mit dem Turniersieg am 30. April 2017 in Stuttgart feierte sie ihren bislang größten Karriere-Erfolg. Doch auch 2016 war sie schon sehr erfolgreich: Runde drei bei den Australian Open, Finale in Stuttgart, Viertelfinale bei Olympia und Turnier-Siege in Bastad sowie im Mixed bei den US Open.