Mit „Maria Stuart“ von Schiller (rechts) beginnt Axel Preuß seine Intendanz. Foto: dpa - dpa

Axel Preuß ist ab der kommenden Saison 2018/19 neuer Intendant des Alten Schauspielhauses und der Komödie im Marquardt in Stuttgart. Im Interview bekennt sich der Theatermann zur Kraft des dramatischen Worts und zum Gemeinschaftserlebnis des Publikums.

StuttgartGemessen an der Publikumsgunst ist es eines der höchsten Rösser auf dem kreisenden Intendantenkarussell, auf das Axel Preuß jetzt steigt. Der bisherige Schauspieldirektor des Karlsruher Staatstheaters tritt mit der neuen Saison 2018/19 die Nachfolge des nach Trier wechselnden Manfred Langner als Chef des Stuttgarter Alten Schauspielhauses und der Komödie im Marquardt an. Zusammen zählen die beiden Häuser seit langen Jahren zu den bestbesuchten Sprechtheatern im deutschsprachigen Raum. Preuß weiß, dass man hier nicht um Einladungen zum Berliner Theatertreffen und um den Lobpreis überregionaler Kritikerchöre spielt, sondern für die Sehbedürfnisse möglichst vieler Menschen. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt er, wie er Publikumsnähe und künstlerischen Anspruch verbinden will.

Herr Preuß, Ihre künftigen Wirkungsstätten haben deutlich mehr Besucher als das Stuttgarter Staatsschauspiel. Wie erklären Sie sich das?
Das Alte Schauspielhaus und die Komödie im Marquardt haben einen Platz im Herzen der Menschen in Stuttgart und der Region gefunden – durch Vielfalt, Zugänglichkeit, Verständlichkeit und hohen künstlerischen Rang. Für mich ist es ein Vertrauensbeweis , dass ich zum Intendanten dieses publikumsstarken Sprechtheaters gewählt wurde. Und das formuliert zugleich den Anspruch an meine Arbeit: einen hohen künstlerischen Standard wahren, der aber für die Zuschauer da ist, nicht umgekehrt. Grundsätzlich glaube ich, dass alle Menschen ein Kultur- und Theaterbedürfnis haben. Wir wollen ihnen ein Zuhause geben, wo sie sich mit ihren Fragestellungen ernst genommen fühlen, aber auch mit dem auseinandersetzen, was die Schauspieler auf der Bühne tun.

Wie würden Sie die Rolle Ihrer Häuser in der regionalen Szene beschreiben – Konkurrenz, Gegenmodell, wechselseitige Ergänzung?
Ich setze auf das Modell der Partnerschaft innerhalb dieser unglaublich reichen Theaterlandschaft – was nicht heißt, dass wir alle gleich wären oder sein sollten. Das Alte Schauspielhaus und die Komödie im Marquardt sind zwei wunderbare Häuser mitten in der Stadt mit ganz eigenem Profil: großes Dramentheater und intelligente Unterhaltung. Das ist sowohl eine Ergänzung zu den anderen Bühnen als auch eine Alleinstellung: Die Komödie im Marquardt ist das einzige Boulevardtheater weit und breit, und mit dem Alten Schauspielhaus bieten wir einen wundervollen Raum für anspruchsvolles Sprechtheater, das gezielt dem regionalen Publikum zugewandt ist.

Sie selbst kommen ja aus dem Staatstheatersystem. Was hat Sie motiviert, an einem Theater in privater Trägerschaft anzuheuern?
Die große Verbundenheit des Publikums mit diesem Theater. Das ist eine tolle Herausforderung. Und der Kontrast der beiden Bühnen ist reizvoll für einen Theatermacher: eines der schönsten Theatergebäude überhaupt, nämlich das Alte Schauspielhaus, für die große Dramenliteratur – und die Komödie im Marquardt für abwechslungsreiches Unterhaltungstheater.

Sind die Zwänge hier größer als an einem Stadt- oder Staatstheater?
Natürlich. Wir müssen annähernd die Hälfte unseres Budgets durch Abos und Kartenverkäufe decken – weit mehr als die Theater, die ausschließlich von der öffentlichen Hand getragen werden. Aber ich will darüber keinesfalls klagen, denn ich kannte ja die Vorzeichen.

Mit welcher Theaterästhetik wollen Sie Kunst und Gunst des Publikums unter einen Hut bringen?
Mit einem zeitgenössischen, inhaltsorientierten Theater, das durch Geschichten und die Qualität des Schauspiels fesselt und damit das Publikum begeistert für heutige theatrale Erzählweisen. Ich glaube zutiefst an die Kraft des dramatischen Worts, an die Kunst von Dramatikerinnen und Dramatikern, die wissen, wie man für die Bühne schreibt. Und ich glaube an die Magie des schauspielerischen Geschichtenerzählens. Wir gehen doch in erster Linie ins Theater, um tolle Schauspielerinnen und Schauspieler zu sehen. Wir wollen emotionale Brücken bauen für die Stoffe auf der Bühne, denn erst dadurch wird das Theater zu dem, was es seit den Anfängen in der Antike war: ein Ort der Gemeinschaft, eine demokratische Kunstform, eine Sehschule.

Avantgardistische Heldentaten vor zehn Zuschauern auf 500 Plätzen sind nicht Ihre Sache?
Nein. Mich reizt es, für das Publikum zu spielen und nicht gegen es. Das Experiment ist hier in Stuttgart definitiv nicht meine Angelegenheit.

Wie wollen Sie verhindern, dass Ihr Theater ins Altbackene abdriftet?
Durch die Arbeit an den Texten und die ästhetische Vielfalt, für die ganz unterschiedliche Regisseurinnen und Regisseure stehen. Ein publikumszugewandtes Theater kann sehr wohl zeitgenössisch und muss nicht altbacken sein.

Ist ein Boulevardtheater wie in der Marquardt-Komödie im Netflix- und Serienzeitalter noch zeitgemäß für ein Publikum unterhalb der Rentenschwelle?
Mehr denn je! Wir brauchen das Gemeinschaftserlebnis, den Public-Viewing-Effekt nicht nur im Fußball. Wir brauchen den gemeinsamen Blick aufs Gesellschaftliche auch unter unterhaltsamen oder ironischen Vorzeichen. Und wenn die Darstellungsformen stimmen, kommen auch jüngere Leute. Alle Menschen lachen gern, viele der Stoffe im neuen Komödie-Spielplan sind generationenübergreifend, zum Beispiel „Monsieur Claude und seine Töchter“, wo es um ein gut situiertes, konservatives Elternpaar geht, dessen Schwiegersöhne eine vielfältige Gesellschaft repräsentieren. Oder „Wir sind die Neuen“ nach Ralf Westhoffs Film, wo eine Alt-68er-WG Knatsch bekommt mit ihren Nachbarn, drei jungspießigen Studenten.

Eine Bühnenversion des Films kam unlängst auch an der Esslinger Landesbühne heraus.
Wir haben uns selbstverständlich mit dem Esslinger Intendanten Friedrich Schirmer abgestimmt. Ich bin sehr dankbar für das partnerschaftliche Miteinander.

Auch andere Theatermacher der Region hinterlassen Spuren in Ihrem Spielplan. Zufall oder Absicht?
Das ist kein Zufall. Wir spielen Ferdinand von Schirachs Roman „Tabu“ in einer Bühnenfassung der früheren Rampe-Intendantin Eva Hosemann, die jetzt zum Leitungsteam der Stuttgarter Kriminächte gehört. Deshalb ist die Premiere im März 2019 zugleich Auftakt des Festivals. Susanne Heydenreich, die Intendantin des Theaters der Altstadt, die ich für eine hinreißende Schauspielerin halte, spielt bei uns die Big Mama in Tennessee Williams’ „Katze auf dem heißen Blechdach“. Shakespeares „Wie es euch gefällt“ ist die Erstaufführung der Fassung und Übersetzung von Carl Philip von Maldeghem, meinem Vorvorgänger als Intendant. Das alles entspricht dem Partnerschaftsgedanken. Durch kooperationsfreudige Öffnung zeigen wir, wie stark die Stuttgarter Kulturszene ist. Man muss doch nicht alles aus der Ferne holen. Meine Devise ist: lokal handeln und global denken.

Ihre Häuser verfügen über kein festes Ensemble. Ein Vorteil oder ein Nachteil?
Es hat den Vorteil, dass wir für jede Inszenierung interessante Gäste engagieren können. Wir arbeiten aber auch mit Schauspielern zusammen, die regelmäßig bei uns auftreten, so dass doch eine Ensemblewirkung entsteht. Zum Beispiel ist Ulrike Barthruff die Hanna Kennedy in Schillers „Maria Stuart“, Publikumsliebling Andreas Klaue ist mehrfach besetzt, Monika Hirschle ist wieder dabei und spielt in ihrer schwäbischen Übertragung „Tratsch em Treppahaus“ nach der Komödie von Jens Exler. Resümierend gefragt: Was machen Sie anders als Ihr Vorgänger Manfred Langner?
Ich möchte an die erfolgreiche Arbeit anknüpfen. Wichtig ist mir die Öffnung des Hauses für die ganze Familie. Familie ist überhaupt ein thematischer Schwerpunkt, die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Stabilität in einer instabilen Welt. Mit dem interkulturellen Projekt „Familienbande“ wollen wir gerade in unsere vielfältigen Region erkunden, was Familie für Menschen unterschiedlicher Herkunft bedeutet. Die Vermittlung von Theaterkunst ist mir ein Anliegen, deshalb gibt es künftig an Sonntagen vor Premieren ein Frühstück für alle Interessierten. Und eine Literaturreihe bringt wieder Hermann Beil nach Stuttgart, der als Dramaturg die legendäre Peymann-Zeit von 1974 bis 1979 am Staatsschauspiel mitprägte.

Was erwarten Sie bei alldem von der Stuttgarter Kulturpolitik?
Die Anerkennung, dass wir mit einem sehr kleinen Mitarbeiterstab sehr viele Menschen für das Theater begeistern. Nach ersten Gesprächen bin ich zuversichtlich gestimmt. Kultur hat in der Stuttgarter Politik einen hohen Stellenwert – was ja nicht selbstverständlich ist.

Das Interview führte Martin Mezger.

Zur Person

Axel Preuß, 1962 in Hamburg geboren, begann nach dem Studium der Literaturwissenschaft und der Kunstgeschichte seine Theaterkarriere. Nach verschiedenen Engagements war er von 2002 bis 2005 Chefdramaturg am Landestheater Tübingen, danach bis 2009 Schauspieldirektor und stellvertretender Intendant am Theater Heidelberg. Chefdramaturg und stellvertretender Generalintendant am Staatstheater Braunschweig (bis 2016) und dann Schauspieldirektor am Karlsruher Staatstheater waren die weiteren Stationen vor seinem Wechsel nach Stuttgart.