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Es war kein schöner Anblick für die Mitarbeiter des Tierschutzvereins Stadttauben-Projekt Stuttgart. Zahlreiche tote Tauben lagen im Hinterhof der Ärztekammer in der Ostendstraße. Der erste Verdacht der Tierschützer: Die Vögel wurden vergiftet.

Von Erdem Gökalp

Der Hinterhof der Ärztekammer in der Ostendstraße 90 ist übersäht mit Kadavern toter Tauben, zwei von ihnen liegen zusammengekauert in ihrem Nest. Der Tierschutzverein Stadttauben-Projekt Stuttgart (SPS) hat die Bilder vor drei Wochen auf der Facebook-Seite veröffentlicht. „Wir vermuten, dass sie vergiftet wurden“, sagt Taubenbeauftragte Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer. Öfters wurden die Vögel in Stuttgart auch mit einem Luftgewehr oder einer Luftpistole erschossen. Nach ersten Untersuchungen kann diese Todesursache ausgeschlossen werden.

Entdeckt wurde das Taubendrama von einer SPS-Mitarbeiterin, die sich vor Ort ein Bild vom Wohnquartier machen wollte. Denn in der knapp 200 Meter entfernten Landhausstraße ist ein Taubenschlag geplant. Der Hinterhof ist seit Jahren als beliebte Brutstätte der Tiere bekannt. Fangnetze und Kunststoff-Krähen als Abschreckung brachten keinen Erfolg. Selbst ein Falke hatte sich die Zähne ausgebissen, die Tauben brüteten munter weiter. Daher entschlossen sich die SPS-Verantwortlichen, die Vögel umzusiedeln. Mit dem geplanten Taubenschlag sollte die Population kontrolliert und die Belästigung für die Anwohner begrenzt werden.

Die Tierschützer haben mittlerweile Anzeige erstattet und eine Belohnung von 450 Euro ausgesetzt. Zudem haben sie einige tote Tauben zum Chemischen- und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart geschickt, um die Todesursache feststellen zu lassen. Doch die Verwesung der Kadaver war bereits zu weit fortgeschritten und so muss es beim Vergiftungsverdacht bleiben. „Es gibt viele Taubenhasser, es ist daher möglich, dass sie absichtlich von jemandem getötet wurden“, weiß Brucklacher-Gunzenhäußer, die sich seit 25 Jahren für die Tiere einsetzt. Bevor das Taubenprojekt im Jahr 2008 in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung

und dem Caritasverband ins Leben

gerufen wurde, ging es den Vögeln in der Landeshauptstadt sogar noch schlechter. Es wurde regelrecht Jagd auf sie gemacht, mit Pfeil und Bogen, Schrotflinten und vor allem mit Gift. Doch auch heute noch sind die Tiere unbeliebt und werden als „Ratten der Lüfte“ bezeichnet. Taubenkot und die Angst vor vermeintlichen Krankheiten, lässt immer noch viele Menschen panikartig einen Bogen um sie machen. Wir groß der Hass ist, bekam das SPS via Facebook mittgeteilt. „Meiner Meinung nach gehören Tauben ausgerottet“, heißt es in einem der vielen Kommentare.

Den Vögeln geht es inzwischen bedeutend besser als früher. Dank des Engagements der Tierschützer ist es seit 1997 bundesweit verboten, auf die Tiere Jagd zu machen. Seitdem heißt das Motto „Betreuen statt Bekämpfen“. Ein Mittel dafür ist der Taubenschlag. Der erste im Stadtgebiet wurde beim Gleis 1 im Stuttgarter Hauptbahnhof eingerichtet. Der Neue in der Landhausstraße soll bald eröffnet werden. Die Vögel sollen dadurch von den bisherigen Brennpunkten weggelockt werden. „Die Vögel verbringen die meiste Zeit in dem Schlag. Der Kot kann von dort problemlos entsorgt werden, ohne dass Anwohner sich belästigt fühlen“, so SPS-Mitarbeiterin Anne Pieplow.

Um die Population der Vögel zu kontrollieren, werden die Eier der Tiere dann mit Attrappen eingetauscht. Das SPS hat mit der Veröffentlichung der Bilder der toten Tauben bereits viele Sympathisanten auf Facebook gefunden. „Einige wollen helfen, indem sie das Belohnungsgeld erhöhen“, so Brucklacher-Gunzenhäußer.

Wer etwas gesehen hat, meldet sich entweder bei der Polizei oder per Email unter info@stadttauben-stuttgart.de, über die facebook-Seite www.facebook.com/stadttauben oder die Notfallnummer des Tierschutzvereins 0176-43200171.

Fakten und Zahlen

Die Tiere werden in den Einrichtungen jeweils im Abstand von ein bis zwei Tagen mit Wasser, artgerechtem Futter, Grit und dauerhaften Schlaf- und Nistplätzen versorgt. Dabei werden die Schläge gereinigt und desinfiziert. Eine wichtige Arbeit: Die echten Vogeleier werden durch Imitate aus Kunststoff ersetzt. Seit Ende 2008 bis Ende 2015 wurden mehr als 11 000 Eier ausgetauscht - Tendenz steigend. Durch die Fütterung in den Taubenschlägen wird die Futtersuche im Stadtgebiet eingeschränkt. Da die in den Schlägen ansässigen Tauben ihren Kot zu 70 bis 80 Prozent auch dort hinterlassen, wird die Verschmutzung von Gebäuden, Plätzen und Wegen in der Stadt verringert. Tauben sind grundsätzlich standtorttreu und bleiben ein Leben lang am selben Platz, an dem sie brüten. Die Taubenwarte sind über den Tierschutzverein Stuttgart angestellt und werden für die verschiedenen Standorte eingeteilt. Zu ihren Aufgaben gehören Füttern, Reinigung der Schläge, Gelegeaustausch und die Gesundheitsüberwachung. Der Tierschutzverein stellt zudem noch die ehrenamtlichen Taubenpaten, die in der Regel einmal wöchentlich die Schläge besuchen und ebenfalls nach dem Rechten schauen.

2008: Der erste Schritt war ein Taubenschlag bei Gleis 1 im Hauptbahnhof Stuttgart, zwei weitere folgten ein Jahr später im Dach der Leonhardskirche und auf dem Parkhaus Mühlgrün in Bad Cannstatt. Der vierte Taubenturm wurde 2010 im Stadtgarten am Max-Kade-Weg errichtet, 2011 dann das fünfte Taubenhaus auf dem Dach der Rathausgarage, das mittlerweile wegen des Abrisses wieder entfernt werden musste. 2011 wurde ein zweiter Taubenschlag auf dem Dach der Leonhardskirche errichtet. Nummer sieben folgte 2013 (Dach des Fairkauf-Gebäudes in Feuerbach). 2014 wurde als Ersatz für den Standort am Hauptbahnhof ein Taubenschlag auf einem Flachdach in der Kriegsbergstraße errichtet. Und im vergangenen Jahr wurde Nummer 9 am Marienplatz im Dachstuhl des Kaiserbaus eingeweiht.

Die Familie der Tauben umfasst etwa 42 Gattungen und mehr als 300 Arten, die größte Artenvielfalt besteht im Bereich von Südasien bis Australien. In der Paläarktis (Europa, Asien, Nordafrika) kommen 29 Arten vor, davon fünf in Mitteleuropa.Foto: dpa