Laura Kutter erklärt den sehbehinderten und sehenden Teilnehmern der Tour die architektonischen Besonderheiten der Häuser am Eduard-Pfeiffer-Platz. Foto: Fürstenberger - Fürstenberger

Auf eine besondere Stadtführung machten sich 20 Teilnehmer am Samstag auf. Sehbehinderte und Sehende bildeten dabei Tandems. Beide erlebten eine Stadttour mit allen Sinnen.

Stuttgart-OstAchtung, jetzt geht es einen Bordstein hinunter.“ Solche Sätze sind am Samstag oft zu hören, als sich die Gruppe aus zirka 20 Teilnehmern durch den Stuttgarter Osten bewegt. Ansonsten wird auf der Tour genauso erklärt, gezeigt, zugehört und interessiert geschaut wie auf jeder anderen Stadttour. Und doch gibt es Unterschiede: Die Hälfte der Teilnehmer ist blind oder sehbehindert, die andere Hälfte sehend. Jeder blinde oder sehbehinderte Teilnehmer wird von einem Sehenden begleitet und unterstützt. Tourleiterin Laura Kutter beschreibt ganz genau, was es auf dem Eduard-Pfeiffer-Platz zu entdecken gibt: „Die Häuser sind aus roten, orangefarbenen und hellen Klinkersteinen gebaut. Jeder Giebel ist anders gestaltet, manche sind spitz, andere treppenförmig.“ Sie weist auch auf das Kopfsteinpflaster hin. Dieses können die blinden Teilnehmer zwar nicht sehen, aber durchaus hören, als ein paar Autos darüber fahren. Wer will, kann die Muschelkalksteine des Brunnens ertasten.

Al s Tandem durch die Stadt

In der Neuffenstraße erzählt Laura Kutter die Geschichte der Siedlung Ostheim, die vom Sozialreformer Eduard Pfeiffer gebaut wurde, um Wohnraum für die Arbeiter zu schaffen. Wie die Aufteilung der Zimmer im Inneren der Häuser aussieht, können die Teilnehmer auf einer Reliefkarte erspüren. Immer wieder weisen die sehenden Teilnehmer ihre Partner auf Besonderheiten hin: „Hier ist ein Haus mit einem besonders schönen Balkon aus Eisen. Und hier hängen schon die Ostereier im Busch im Vorgarten.“

„Die sehenden Gäste sind sozusagen das Auge für die anderen“, erklärt Laura Kutter das Konzept der Touren. Davon profitieren beide Seiten. Denn wer beschreiben muss, was er sieht, der schaut genauer hin und wird gleichzeitig offener für andere Sinneseindrücke wie Geräusche und Gerüche. Die Tour durch die Siedlung Ostheim ist eine Schnuppertour. Denn der kleine Reiseveranstalter „tour de sens“, der in der Teckstraße sein Büro hat, bietet auch Städte-, Wander- und sogar Fernreisen an. Auch hier werden Tandems aus sehenden und nicht sehenden Gästen gebildet. Die Tandems werden jeden Tag neu zusammengestellt, damit sich die Gruppe gut kennenlernt. „Das Konzept ist toll“, findet Petra Schneider. „Denn als Blinde alleine zu reisen, ist schwierig.“ Ihre heutige Begleiterin Irene Burghardt hat heute schon viel Neues erfahren: „Man achtet auf ganz andere Dinge.“ Helmut Gemrig aus Rohracker war früher oft im Stuttgarter Osten, an vieles erinnert er sich.

„Vor elf Jahren konnte ich sogar noch Autofahren“. Heute ist seine Sehbehinderung weit fortgeschritten und er testet andere Formen von Fortbewegung und Freizeitgestaltung aus.

Auf der weiteren Tour gibt es noch einige Sinneseindrücke zu erleben: Im Theater La Lune wird warme Suppe serviert, beim Schwarzmahler nebenan duftet es nach frisch gemahlenen Kaffeebohnen. Zum Abschluss geht es mit der Stadtbahn in die Innenstadt. In der Stiftskirche beeindruckt die Orgel mit ihren verschiedenen Registern und Klängen Sehende wie Nicht-Sehende gleichermaßen.