Das Stadtbad in der Hofener Straße soll nach der Eröffnung des Sportbades geschlossen und abgerissen werden. Dagegen wehren sich die Bürger, die angesichts der prekären Bädersituation für einen Erhalt plädieren. Zudem wünschen sich viele Bürger aus dem Neckartal und auf den Fildern eine Verlängerung der Buslinie 65 zum Flughafen und zur Messe. Fotos: Nagel/Kuhn Quelle: Unbekannt

Von Uli Nagel

Über den nächsten Doppelhaushalt beraten die Rathausfraktionen erst kurz vor Weihnachten. Seit Montag weiß die Stadtverwaltung jedoch schon, was bei den Bürgern ganz weit oben auf der To-Do-Liste steht. Auch in den Neckarvororten. Unter anderem soll die Buslinie 65 zum Flughafen verlängert und das Stadtbad in Bad Cannstatt auch nach Eröffnung des Sportbads weiterbetrieben werden.

Die Zahlen beim mittlerweile vierten Bürgerhaushalt lesen sich beeindruckend: 51 875 Einwohner gaben insgesamt rund 1,23 Millionen Stimmen ab. Eine erneute Steigerung, denn vor zwei Jahren registrierte die Stadt „nur“ 38 369 Einwohner. Was zudem auffällt: Bis auf wenige Ausnahmen gab es unter den Vorschlagen, Ideen und Wünschen nur wenig Skurriles, die bar jeglicher Realisierung sind. „Das kreative Engagement macht unseren Bürgerhaushalt zu einem der erfolgreichsten in ganz Deutschland“, lobte der Erste Bürgermeister Michael Föll die Liste der 130 erfolgreichsten Vorschläge, zu der die Verwaltung noch vor der Sommerpause dem Gemeinderat ihre Stellungnahme vorlegen möchte.

Über eine Forderung aus Bad Cannstatt wird Stuttgarts Stadtkammer nicht erfreut sein, denn wieder einmal sammelte der Erhalt des Stadtbads in der Hofener Straße mit 3420 viele Stimmen und kam auf Platz vier. Bekanntermaßen soll das Gebäude aus den 70er-Jahren abgerissen werden, sobald das neue, wettkampfgerechte Sportbad an der Mercedesstraße fertig ist. Das geplante Aus des Stadtbads - laut eines Gutachtens würde dessen Sanierung mit sechs Millionen Euro zu Buche schlagen - war für Michael Föll ausschlaggebend, das mit 30 Millionen Euro doch sehr teure Neubauprojekt im Neckarpark zu unterstützen.

Doch in den vergangenen Jahren äußerten immer mehr Schulen und Vereine große Bedenken, da ihrer Meinung nach allein durch das neue Sportbad der Bedarf nie und nimmer gedeckt werden könne. Während die Cannstatter CDU erst im vergangenen Oktober die Verwaltung aufforderte, dass Stadtbad nicht zu schließen, wünscht sich der Bezirksbeirat Bad Cannstatt von Bäder-Chef Alexander Albrand einmal Zahlen und Fakten zur Bädersituation, um danach über die Zukunft des Stadtbades zu diskutieren.

Den Sprung aufs Treppchen mit Platz drei schaffte mit 3606 Stimmen die Bürgerforderung, die Buslinie 65 bis Flughafen/Messe zu verlängern. Mangels Auslastung hatte die Stuttgarter Straßenbahnen AG einen Probelauf mit der Linie 79, die einige Monate von Plieningen bis zum Flughafen pendelte, wieder eingestellt.

Unter den Top Ten ist das Neckartal noch einige Mal vertreten. Auf Platz sechs liegt der Bau einer Sport- und Kulturhalle für den Campus Freiberg mit 2551 Stimmen, gefolgt vom Ausbau des Schulcampus Cannstatt, der mit 2397 Stimmen auf Rang sieben liegt. Die Brunnen- und die Jahn-Realschule sowie das Johannes-Kepler- Gymnasium wollen ihren Schulcampus-Gedanken durch neue, gemeinsame Multifunktionsräume mit Mensa, Sport- und Aufenthaltsmöglichkeiten aufwerten und weiterentwickeln. 1400 Schülern stehen derzeit eine große und eine kleine Sporthalle zur Verfügung. Zudem trainieren mehr als 15 Vereine regelmäßig in den Hallen. Das Problem: Zurzeit stehen weder für kulturelle Veranstaltungen (Musik, Theater) noch für Einschulungs- und Abschlussveranstaltungen der Schulen passende Räume zur Verfügung.

Übrigens: Der Wunsch, eine Welle für Surfer bei der Neckarschleusen einzurichten, scheint groß. Der Vorschlag landete auf Platz 20. Sehr viel realistischer scheint dagegen die Idee, am Neckarknie eine Freitreppe zu bauen. Immerhin plant die Stadt bereits mittelfristig diesen Bereich umzugestalten und will diesbezüglich auch, wie bereits berichtet, einen Ideenwettbewerb auf den Weg bringen.

Zahlen und fakten zum Bürgerhaushalt 2017

Insgesamt 3457 Vorschläge wurden eingereicht, davon konnten nach Zusammenfassung gleichartiger Ideen noch 2664 bewertet werden. Für diese Vorschläge gaben die Stuttgarter 1 230 939 Stimmen ab. Beim Bürgerhaushalt 2015 waren 38 369 Bürger (2013: 26.992; 2011: 8983) dabei, es hatte 3732 Vorschläge (2013: 2943; 2011: 1745) und 1 218 458 Bewertungen (2013: 952 580; 2011: 243 404) gegeben.

Von den 2664 zu bewertenden Vorschlägen beziehen sich 532 Vorschläge auf die inneren Stadtbezirke, 1179 Vorschläge auf die äußeren Stadtbezirke und 953 Vorschläge auf gesamtstädtische Themen.

Die Zahl der Teilnehmer am Bürgerhaushalt Stuttgart hat sich gegenüber 2015 in fast allen Stadtbezirken erhöht. Nach den absoluten Zahlen an der Spitze liegt hier Bad Cannstatt mit 6730 Teilnehmern (2015: 3841), was bezogen auf die Einwohnerzahl einer Beteiligungsquote von 9,5 Prozent (2015: 5,5 Prozent) entspricht. Die höchste Beteiligungsquote gab es im Stadtbezirk Birkach mit 25,6 Prozent.

Hinsichtlich der Verteilung der Vorschläge liegt der Schwerpunkt mit 998 Vorschlägen und einem Anteil von 37,5 Prozent beim Thema Verkehr, obwohl sich hierzu nur vier Vorschläge unter den Top 130 befinden. Ein wichtiges Thema war bei den Bürgern auch der ÖPNV mit 339 Vorschlägen (12,7 Prozent) und der Aufgabenbereich Stadtplanung mit 211 Vorschlägen (7,9 Prozent). 202 Vorschläge (7,6 Prozent) wurden zu Grünflächen, Wald und Friedhöfe und 174 Vorschläge (6,5 Prozent) zu Abfall und Sauberkeit gemacht.

Auch andere deutsche Großstädte haben einen Bürgerhaushalt, allerdings wird das Angebot weitaus weniger angenommen: So konnte Bonn beim letzten Bürgerhaushaltsverfahren 1500 Besuche des Beteiligungsportals, 32 Bürgervorschläge und rund 450 Bewertungen verzeichnen. In Köln nahmen 2016 bei der Durchführung des Bürgerhaushaltes rund 6 300 Personen teil und haben 854 Vorschläge, 1334 Kommentare und 39 359 Bewertungen abgegeben. Münster konnte vergangenes Jahr etwa 3000 Teilnehmer, 117 Vorschläge, 484 Kommentare und 3865 Bewertungen verzeichnen.

Die meisten Vorschläge (2583) und Bewertungen (1 183 506) sind über die Internet-Plattform bei der Stadtverwaltung eingegangen. Beachtlich ist aber auch die enorme Steigerung der schriftlichen Teilnahme am Verfahren über Formulare und Unterschriftenlisten. Auf diesem Weg gingen 60 Vorschläge und 47 433 Bewertungen ein. Vom Servicecenter Stuttgart wurden außerdem 21 Vorschläge telefonisch aufgenommen.

Wie geht es nun weiter? Zu den 130 Top-Vorschlägen wird die Verwaltung - also Fachämter, Eigenbetriebe und Beteiligungsunternehmen - Stellungnahmen erarbeiten und darstellen, wie die einzelnen Themen fachlich einzuschätzen sind. Auch die Bezirksbeiräte werden zu den ihren Stadtbezirk betreffenden Themen Stellung nehmen. Abstimmungsergebnis und Stellungnahmen werden dann in einer Vorlage zusammengefasst und noch vor der Sommerpause dem Gemeinderat vorgelegt. Sobald der Doppelhaushalt 2018/2019 verabschiedet ist, werden die Teilnehmer und die Öffentlichkeit zeitnah über das Ergebnis bezüglich des Bürgerhaushalts informiert.