Die ersten Briefwahlscheine sind bereits im Statistischen Amt der Stadt eingegangen. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Elke Hauptmann

Stuttgart - Seit 50 Jahren kann bei der Bundestagswahl von zu Hause aus per Brief gewählt werden - ein Angebot, das immer beliebter wird. In Stuttgart wählt inzwischen jeder Vierte schon vor dem Wahltag. An diesem 24. September wird gar mit einem neuen Rekord gerechnet.

Während bei der Einführung der Briefwahlmöglichkeit im Jahr 1957 noch kranke oder körperlich beeinträchtigte Menschen im Fokus standen, wird sie heute immer häufiger genutzt. Die Gründe dafür liegen nach Einschätzung von Fachleuten in der immer mobileren und flexibleren Gesellschaft. Aber auch Bequemlichkeit spiele eine Rolle - manche Menschen wollten sich den Sonntag für Unternehmungen freihalten. Die Briefwahl verschaffe ihnen einen Autonomie-Spielraum, sagt Wahlforscher Rüdiger Schmitt-Beck von der Universität Mannheim. Diese Selbstbestimmung werde immer wichtiger, gerade bei urbanen und hochgebildeten Gruppen sowie bei Menschen mit vielen beruflichen Möglichkeiten. Weiter steigen dürfte der Anteil der Briefwähler auch angesichts einer alternden Gesellschaft: Gerade für viele betagte Menschen sei die Briefwahl einfacher als der Weg zum Wahllokal.

Der Trend ist auch in der Landeshauptstadt angekommen. In Stuttgart steigt der Anteil der Briefwähler seit 1990 von Urnengang zu Urnengang. Bei der letzten Bundestagswahl im Jahr 2013 wurde mit 93 148 Briefwahlanträgen ein neuer Rekord aufgestellt. Bezogen auf die Gesamtzahl der Wahlberechtigten lag der Anteil bei 24,9 Prozent. In diesem Jahr rechnen die Wahlorganisatoren im Statistischen Amt sogar mit rund 100 000 Anträgen - nicht nur, weil die Zahl der Wahlberechtigten in den beiden Stuttgarter Wahlkreisen um rund 2000 auf insgesamt knapp 377 000 gestiegen ist. Zum 1. September waren bereits 71 000 Briefwahlanträge eingegangen. Ob die „magische Zahl“ von 100 000 Briefwahlanträgen überschritten wird, hängt aber nicht zuletzt von der Wahlbeteiligung ab, räumt Amtsleiter Thomas Schwarz ein. Vor vier Jahren lag sie in Stuttgart bei 76,7 Prozent.

Grund für den deutlichen Zuwachs ist zum einen, dass die Briefwahl 2009 „quasi freigegeben wurde“ - vorher musste man einen triftigen Grund anführen. Zum anderen boomt die Möglichkeit, den Wahlschein online zu beantragen. Jeder dritte Antragsteller in Stuttgart (35 Prozent) hatte 2013 die Briefwahl per Internet beantragt. 2009 waren es noch 25 Prozent, 2005 erst 16 Prozent. Die meisten Anträge werden jedoch (noch) per Post befördert - zuletzt 46 Prozent. Rund 7200 Antragsteller (8 Prozent) kamen 2013 persönlich in das Statistische Amt, weitere 10 600 Wahlberechtigte (11 Prozent) beantragten die Briefwahl in einem der 17 Bezirksämter.

Briefwähler unterscheiden sich von den Urnenwählern, stellen die Statistiker fest. Es handle sich tendenziell um gut gebildete und gut situierte Wähler, die schon früh zu ihrer Entscheidung gelangen. Typischerweise handle es sich um parteigebundene Wähler. Profitieren würden vor allem CDU, FDP und Grüne von dieser Klientel. Die Wähler von SPD und Linke hingegen würden vor allem im Wahllokal abstimmen.

Die Briefwahl ist allerdings nicht unumstritten. So kritisiert etwa der Staatsrechtler Ulrich Battis, dass eine frühe Entscheidung unter anderen Bedingungen stattfinde als die Stimmabgabe am Wahltag. Bundeswahlleiter Dieter Sarreither weist Bedenken zurück: Zwar gebe es durchaus Möglichkeiten der Manipulation und der Beeinflussung, dennoch müsse es jedem deutschen Staatsbürger ermöglicht werden, seine Stimme abzugeben. „Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Abwägung immer dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl den Vorrang gegeben“, betont Sarreither, der auch Präsident des Statistischen Bundesamtes ist.

Wer per Brief wählen möchte, muss dies bis zum Freitag, 22. September, 18 Uhr beantragen. Infos unter www.stuttgart.de/bundestagswahl.