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Hannes Rockenbauch und Nanette Bauer teilen Erinnerungen an die ersten Jugendratswahlen vor 25 Jahren

Bad Cannstatt Einen „Rebell-Stadtrat“, so nann te ihn einst die Boulevardpresse. Die Titelseite aus den Hochzeiten der Stuttgart-21-Proteste hängt noch heute neben dem Schreibtisch von Hannes Rockenbauch (SÖS), sie scheint für den Stadtrat beinahe eine Auszeichnung zu sein. Was viele nicht wissen: Der 39-Jährige ist nicht erst seit den Protesten kommunalpolitisch unterwegs – Rockenbauch gehörte 1995 zu den ersten Jugendräten in seiner Heimat, dem Stuttgarter Osten. Zu seinen Nachfolgern zählt seit vier Jahren Nanette Bauer, auch sie darf sich stolz Jugendrätin nennen. Nur eben einige Jahre später als der heutige Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat: Zwischen der 16-jährigen Cannstatterin und dem 39-jährigen „Ostler“ liegen ein Vierteljahrhundert Jugendbeteiligung in der Landeshauptstadt. Zum Jubiläum haben wir mit beiden im Stuttgarter Rathaus gesprochen.

Herr Rockenbauch, Sie wurden 1995 als einer der ersten Stuttgarter überhaupt in den Jugendrat Ost gewählt. Wie kam es dazu, dass Sie sich im Jugendrat engagiert haben?
Rockenbauch: Ich war zu der Zeit schon politisiert und als eine Lehrerin den Jugendrat in der Schule vorgestellt hat, habe ich die Chance wahrgenommen. Was hat Sie zur Kandidatur motiviert?
Rockenbauch: Ich habe damals zwei prägende Erlebnisse gehabt. Das erste war ein klassisch kommunalpolitisches: Mein Bruder und ich sind an der ziemlich steilen Heinrich-Baumann-Straße im Stuttgarter Osten aufgewachsen und haben erlebt, wie ein Kind dort beim Rollschuhfahren bei einem Autounfall tödlich verunglückt ist. Daraus entwickelte sich eine Bürgerinitiative, die den Stöckach lebenswerter machen wollte – mehr Sicherheit, mehr Grün, weniger Autos. Das war ungemein spannend für uns, weil wir Kinder davon unmittelbar betroffen waren. Wir wurden in der Initiative auch angehört und waren plötzlich mit zehn Jahren Experten. Dann gab es noch den Weltklimagipfel 1992 in Rio de Janeiro, mit dem für mich das Motto „Global denken, lokal handeln“ an Bedeutung gewonnen hat. Wie war das bei Ihnen, Frau Bauer?
Bauer: Ich kannte den Jugendrat vor meinem Engagement gar nicht. Mein Vater hat mich darauf aufmerksam gemacht und dann habe ich mich gleich mit 14 Jahren in Bad Cannstatt beworben. Ich wollte mir angucken, wie man Sachen verändern kann. Ich habe immer schon überlegt, ob ich später in die Politik gehe, vielleicht möchte ich das als Berufsweg einschlagen. Noch habe ich mich aber nicht entschieden, was diesen Wunsch angeht ... Rockenbauch: (lacht) Schwierige Frage, kann ich dir sagen! Hat Sie denn Ihr Engagement im Jugendrat, was das angeht, eher abgeschreckt oder motiviert?
Bauer: Eher motiviert. Ich habe gemerkt, dass man wirklich etwas verändern kann. Aber die große Weltpolitik ist natürlich noch einmal etwas anderes. Rockenbauch: Vielleicht ist das auch gerade das Schöne an der Kommunalpolitik: Dass du die Ergebnisse deiner Arbeit wirklich spüren und erleben kannst. Dafür müssen sie allerdings zeitnah umgesetzt werden. Ich weiß nicht, wie es dir erging, aber wir hatten damals im Jugendrat Ost ein konkretes Projekt, einen neuen Spielplatz. Als Jugendrat wollte ich da richtig Gas geben. Das war dann fertig, als ich nicht mehr Jugendrat war, weil es so lange gedauert hat ... Bauer: Das ist so eine Sache: Die meisten Großprojekte, die wir initiieren, dauern länger als unsere zweijährige Amtszeit. Aber dass man danach sieht, was man erreicht hat, finde ich schon cool. Sind die Zeitspannen denn inzwischen wenigstens kürzer geworden?
Bauer: Die kleineren Projekte kann man relativ schnell umsetzen, weil die Mittel da sind. Wir bekommen ja heute von der Stadt ein Budget zur Verfügung gestellt, mit dem wir vieles umsetzen können. Nur wenn es etwas Großes ist, wie beispielsweise der Calisthentics-Park (ein vom Jugendrat Bad Cannstatt initiierter Fitnesspark im Veielschen Garten, Anm. d. Red.), dann muss es eben extra durch den Gemeinderat. Rockenbauch: Ich glaube, wir hatten damals noch kein nennenswertes Budget wie ihr heute. Es hat so für Partys gereicht, um Werbung für die nächste Jugendratswahl zu machen. Ich glaube auch gar nicht, dass es unbedingt die politische Entscheidung ist, die manchmal lange dauert. Was ich eher als Problem sehe, sind die Kapazitäten der Stadtverwaltung. Oft sind die Routinen dort so langsam, es fehlt an Planern und Handwerkern. Das macht mir große Sorgen. Stichwort Stadtverwaltung – wie erfahren Sie heute die Zusammenarbeit? Inzwischen gibt es ja einen festen städtischen Angestellten als Ansprechpartner, für den musste Herr Rockenbauch noch kämpfen.
Bauer: Ja, wir haben jemanden für uns in Bad Cannstatt, der immer in den Sitzungen dabei ist. Außerdem haben wir einen Ansprechpartner, der für uns zuständig ist und der unsere Anliegen relativ schnell in den Bezirksbeirat oder Gemeinderat einbringt. Aber die großen Sachen, die dann erst einmal abgeklärt werden müssen, brauchen länger. Die bekommen wir manchmal erst Monate später zurück. Ich erinnere mich an ein Projekt in Bad Cannstatt, das wir ganz am Anfang dieser Legislaturperiode begonnen haben und erst jetzt, zwei Jahre später, wieder aufgreifen konnten. So lange hat das gedauert! Wie war damals, in den Anfangsjahren, die Zusammenarbeit mit Stadt und Bezirk?
Rockenbauch: Wir wurden von jemandem aus der Stadtverwaltung, der bei uns in den Sitzungen saß, begleitet. Es war aber nicht das Problem, dass niemand in der Sitzung war. Eher problematisch war, dass wir mehr wollten: Wir hatten uns eben diese gesamtstädtische Koordinierung zum Ziel gesetzt (die es heute mit dem Arbeitskreis Jugendrat gibt, damals aber noch Wunschdenken war, Anm. d. Red.). Wir waren da selbstbewusst und haben gesagt: Wenn ihr es ernst meint, muss die Kommunikation funktionieren, dann wollen wir auch ein bisschen was direkt selbst entscheiden. Wir haben durchaus für unsere Rolle gekämpft. Aber eher, weil wir mehr wollten, nicht weil die Lage katastrophal war. Schnellere Entscheidungen, effiziente Verwaltungsarbeit – wir haben jetzt schon einiges gesammelt, was in den Jugendräten mit Blick auf die nächsten 25 Jahre besser laufen könnte. Wo glauben Sie aber, ist dieses Organ im Vergleich zu 1995 schon heute exzellent?

Bauer: Ich weiß leider nicht, wie es früher war ... Rockenbauch: ... und ich weiß nicht genau, wie es heute ist (lacht). Aber ich finde es super, dass wir dieses Ritual des jährlichen Jugendratsberichts im Gemeinderat haben. Da merkt man auch, wie wichtig die vielen konkreten Projekte sind. Bauer: Ich glaube, dass wir heutzutage relativ gut angesehen, wahrgenommen und respektiert werden. Es heißt nicht, dass wir „nur“ Jugendliche sind und nichts zu sagen haben. Alle wissen: Wir sind im Jugendrat und machen da auch was. Hat dieser Respekt in den Anfangsjahren noch gefehlt?
Rockenbauch: Da muss ich differenzieren. Immer wenn wir mit konkreten Projekten kamen, die den Stadtteil betroffen haben, zum Beispiel ein neuer Spielplatz, dann ging das und wir wurden ernst genommen. Aber wenn es um die großen Themen ging, war Schluss. Die städtischen Mitarbeiter haben fast schon gebetet, dass wir große Streitpunkte wie Stuttgart 21 nicht ansprechen, weil wir ja den Gemeinderäten auf den Schlips treten könnten und die uns dann vielleicht nicht mehr so toll finden. Gibt es heute in den Jugendräten eher die Möglichkeit, über große Themen zu reden?
Bauer: Ich denke, die gibt es schon, weil sich vielleicht das Bild von Jugendlichen mittlerweile gewandelt hat. Aber ich persönlich merke schon, dass bei manchen großen Themen für uns Jugendräte Schluss ist. Trotzdem möchte ich, wenn ich wiedergewählt werde, gerne den Klimaschutz etwas stärker ansprechen. Zum Abschluss, Herr Rockenbauch, die Bitte um einen Ratschlag: Was möchte ein ehemaliger Jugend- und heutiger Stadtrat einer Jugendrätin mit Ambitionen für die Politik mitgeben?
Rockenbauch: Fordere und verlange alles, werde nie bequem und langweilig. Weil dann braucht es dich nicht als Politiker. Es ist egal, ob in deinem Bezirk, deiner Stadt, auf Landes- oder Bundesebene oder darüber hinaus: Jede politische Ebene muss ihren Beitrag leisten. Was würden Sie als Jugendrätin aus dem Jahr 2019 gerne dem Stadtrat Hannes Rockenbauch mitgeben?
Bauer: Wenn jemand vom Jugendrat mit großen Themen, wie beispielsweise der Umwelt, und konkreten Plänen hierzu ankommt, dass die dann wirklich gehört werden und wir das gemeinsam durchgehen können. Das wünsche ich mir.

Die Fragen stellte Felix Heck.