Foto: Lichtgut/Leif-H.Piechowski - Lichtgut/Leif-H.Piechowski

Puppen sind ihre Leidenschaft: Stefanie Oberhoff will mit ihren Marionetten die Welt verbessern. Bis zum 13. April ist sie beim Festival „6 Tage frei“ zu Gast.

StuttgartAuf dem Wohnzimmertisch thront die Gräfin. Wie immer recht kräftig geschminkte Lippen, lüstern geblähte Nasenflügel, auf dem Kopf eine silbergraue Mähne und in der linken Hand die unvermeidliche Zigarette. „Die Gräfin hat 786 Euro gesammelt“, sagt Stefanie Oberhoff wie nebenbei. Die Gräfin?

Das Gespräch mit der Figurenspielerin, die auch Dozentin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart ist, dreht sich gerade um diesen riesigen Koffer, der sich im Korridor der Künstlerin breitgemacht hat. „Darin reist meine neueste Figur, ein Hund, wir waren in Australien“, erzählt Stefanie Oberhoff lachend. Auch sonst wirkt ihre Wohnung im Stuttgarter Süden wie ein außergewöhnliches Raritätenkabinett: überall Kunst, in jedweder Form. Man könnte sich beim Staunen ganz verlieren. Deshalb schnell mit einem Gedankenschwung zurück zu dieser Gräfin. Oberhoffs Gräfin sammelt Geld.

Kettenrauchende Kult-Oma

Die Gräfin? Das ist ein ungefähr armlanges Geschöpf aus Oberhoffs Kreativwerkstatt. Es ist auch als Stuttgarts kettenrauchende Kult-Oma bekannt. Überall, wo sich die auffällige alte Dame jüngst in Szene setzte, hat sie um eine kleine Spende gebeten. „Das Geld geht ans Zentrum Espace Masolo in Kinshasa“, erzählt Oberhoff. Das Zentrum Espace Masolo wurde im Jahr 2003 von drei kongolesischen Künstlern gegründet. Ihre Idee: künstlerisches Schaffen und solidarisches Engagement zu verbinden. Thematischer Schwerpunkt sind Figurenspiel und Figurenbau. Dazu kommen Theater, Musik, Schneidern, Malen, Tischlern und Metallarbeit.

Die deutsche Botschaft in Kinshasa bat in Stuttgart um Starthilfe. Stuttgart war schon damals ein Zentrum für Figurenbau und Figurenspiel. Dort arbeitete Oberhoff nach ihrem Abschluss als Bühnenbildnerin an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste Stuttgart am Figurentheater Fitz als freie Künstlerin. „Was die freie Theater- und Tanzszene in Stuttgart immer noch vermisst, hatten wir Figurenspieler damals schon im Figurentheater Fitz: ein Zuhause, wo wir unsere Produktionen entwickeln und aufführen konnten“, sagt Oberhoff.

Der Reiz für Oberhoff, nach Kinshasa zu gehen, war sehr groß. „Es war immer mein großes Steckenpferd, Kunst und soziales Engagement zu verbinden“, bekennt die gebürtige Bad Cannstatterin: „Das Wesen von Global Playern zu imitieren – nur mit anderem Ziel.“ Nach frühen beruflichen Erfahrungen in Pakistan wurde es dann also die Republik Kongo und das Zentrum Espace Masolo.

Seit dem Jahr 2003 ist die Künstlerin nun jährlich einmal in Kinshasa. Finanziert werden ihre Aufenthalte vom Goethe-Institut. „Die Geschichten, die wir dort erarbeiten, sind auf Augenhöhe gemeinsam entwickelt“, erzählt Oberhoff. Oft sind es recht raue Geschichten. Das Leben im Kongo – vor allem für Kinder und Jugendliche – ist hart. „Die Ausbildung am Zentrum ist kostenfrei, darum sammelt die Gräfin Spenden“, sagt Oberhoff. „Die Gräfin, Expertin für Tod, Sex, Dichtung und Politik, kennt die Welt, macht Filme, hat inzwischen eine eigene Band und produziert eine echte LP“, verrät Oberhoff.

Um mehr Geld zu verdienen, hatten die Mitglieder des Zentrums Espace Masolo vorgeschlagen, Musik in die Theaterproduktionen zu integrieren. „Die erste Tuba spendierte der Bläserchor Schorndorf, später bekamen wir von denen einen ganzen Satz Blasinstrumente“, erzählt Oberhoff. Und manchmal findet sie, dass es Momente von „Absurdistan“ in ihrem Leben gibt, „globale Liebesgeschichten“. So ein Moment war auch die Geburt der Marionette namens Punch Agathe.

Punch ist im englischen Sprachraum bekannt und ähnelt dem deutschen Kasperle. „Gezeugt“ wurde die 16 Meter messende, weiße, weibliche Marionette in Melbourne, bei der australischen Gruppe Snuff Puppets wurde sie erstmals präsentiert. Dann reiste Oberhoff mit ihrer Puppe nach Kinshasa, und Agathe wurde schwarz. Mit seinen Geschichten ist „der größte Kasper der Welt“ oft anarchisch und manchmal auch moralisch.

Kampf für soziale Gerechtigkeit

Nachdem Punch Agathe schon einmal auf dem Marienplatz in Stuttgart einen Auftritt hatte, ist sie nun wieder für einige Zeit in Deutschland. Sie ist zum Festival der freien darstellenden Künste in Baden-Württemberg „6 Tage frei“ ins Theater Rampe eingeladen. Als eine von zehn Preisträgern wird Agathe da am 12. und 13. April ihre Theaterbühnenreife vorführen können. Weitere Anfragen kamen vom Internationalen Figurenfestival Erlangen, vom Internationalen Straßentheaterfestival Flurstücke in Münster und vom Stuttgarter Linden-Museum anlässlich der Ausstellung „Wo ist Afrika?“.

Inzwischen hat die Künstlergemeinschaft aus Australien, dem Kongo und Stuttgart aus der Marionette der Punch Agathe eine Vorlage für kongolesische Medienerzeugnisse, darunter ein Schulbuch, entwickelt. „Die größte Hierarchie weltweit ist nicht die Abhängigkeit der Frau vom Mann, es ist der Unterschied zwischen Arm und Reich und den Ungerechtigkeiten, die daraus folgen“, sagt Oberhoff. Daran mit ihrer Kunst zu drehen, genießt die Stuttgarterin.

Fakten rund ums Festival

Das Festival der freien darstellenden Künste in Baden-Württemberg findet noch bis zum 13. April statt. Zu sehen sind Aufführungen von zehn Tanz- und Theaterpreisträgern der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg in der Rampe, im Fitz, im Jungen Ensemble Stuttgart und an der Akademie für Darstellende Künste in Ludwigsburg.

Als Rahmenprogramm werden Workshops, Gesprächsrunden, Performances und Audio-Walks angeboten. Weitere Informationen unter: www.6tagefrei.de.