Autor Jochen Bender. Quelle: Unbekannt

Jochen Bender hat einen neuen Krimi „Schwabenflucht“ geschrieben, den er am 8. Dezember um 19.30 Uhr in der Cannstatter Stadtteilbücherei im Rahmen einer Benefizlesung präsentiert. Im Gespräch erklärt er seine Buchidee.

Wie sind Sie auf die Idee zum Stoff für den neuen Krimi Schwabenflucht gekommen?

Bender: Wie viele andere Menschen auch, beschäftigte mich die „Flüchtlingskrise“. Als Autor wollte ich mich schreibend mit dem Thema auseinandersetzen. Als Psychologe arbeite ich häufig mit der Methode des Perspektivenwechsels, um das Verhalten eines anderen besser zu verstehen. Also begann ich, eine Geschichte zu schreiben, in der wir Schwaben auf der Flucht ins sichere Arabien sind. Dies fiel mir leicht und machte mir erstaunlich viel Spaß.

Was hat Sie daran besonders gereizt, eine Dystopie zu schreiben, die also eine eher düstere Zukunftsvision hat?

Bender: In erster Linie wollte ich zur Abwechslung mal etwas anderes als einen weiteren Krimi schreiben. Außerdem gibt es für meinen Geschmack zu viel Moralismus in Form von „Wir sind die Guten und ihr die Bösen“ in Politik und Gesellschaft. Dieses stark vereinfachende Schwarz-Weiß-Denken ist mir zuwider. Dystopien dienen der Warnung vor bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen. In „Schwabenflucht“ drücke ich meine Sorge aus, dass Moralismus und Egoismus (der reichsten zehn Prozent) zu einem gesellschaftlichen Zerfall führen könnten. In meinem Buch kommt keine moralisch einwandfreie Person vor.

Mit einer Bürgerkriegsszenerie schaffen Sie eine sehr starke Verfremdung, ist es das, was Sie reizt?

Bender: Nein, eher die darin enthaltene Provokation. Haben wir wirklich die Gewissheit dauerhaften Wohlstandes und Friedens?

Inhaltlich sind die Neckarorte mit involviert: Untertürkheim, Cannstatt und Hofen spielen prominente Rollen. So wird fiktiv das Inselbad zu einem Friedhof für die auf der Flucht Gestorbenen und über die Brücke bei der Staustufe Hofen gewährt Landrat Balmer muslimischen Frauen und Kinder Einlass ins Remstal. Wie kommen Sie auf diese Ideen?

Bender: Indem ich mich fragte, welches Bürgerkriegsszenario am glaubwürdigsten ist. Am plausibelsten erschien mir, „Nationalisten“ und (islamistische) Moslems fangen an, aufeinander zu schießen. Beide Gruppen musste ich glaubwürdig lokal verorten. In Ludwigsburg und den nördlichen Vororten Stuttgarts liegt der Schwerpunkt der Osmanen, einer türkisch geprägten Rockergang. Also verortete ich dort die Moslems. Die letzten Demokraten schienen mir im Remstal (unter anderem dank seiner Rolle beim Armen Konrad) und den rechts des Neckars liegenden Stadtteilen Stuttgarts gut verortet, und so weiter. Daraus ergab sich von selbst der Neckar als leicht zu verteidigende Grenze zwischen verfeindeten Parteien. Automatisch ergab sich die Frage, wo über den Fluss hinweg noch Schwarzhandel und Schleusertum möglich sein soll oder auch was wohl mit auf der Flucht Gestorbenen in einem Bürgerkrieg passieren würde. Da ganz frei etwas „auszuspinnen“, das ist der Spaß machende kreative Prozess dabei.

Was ist das Ziel Ihres Buches?

Bender: Ich will möglichst viele Leser möglichst gut unterhalten. Dazu gehören für mich neben einer Geschichte, die spannend und nicht vorhersehbar ist, auch inspirierende Gedanken oder Sichtweisen. Zu Letzterem gehört für mich die von Ihnen beschriebene Verfremdung. Im Krimi-Genre ist es kaum noch möglich, etwas wirklich neues zu bringen.

Wo haben Sie recherchiert dafür?

Bender: An allen beschriebenen Örtlichkeiten im Ländle vom Karlsruher Studentenheim bis zur Aalener Altstadt war ich persönlich. Für das fiktive Deutschland im Bürgerkrieg und das fiktive Saudi Arabien im Krieg mit dem Iran habe ich von Herrn Harari in seinem Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ dargelegte Ideen aufgegriffen und weitergesponnen. Sowohl islamistischen Terror als auch westliche Militärinterventionen (Afghanistan, Irak, Syrien, Lybien, Somalia, Mali,...) kann man als einen Kampf der beiden unterschiedlichen Weltanschauungen „Liberaler Humanismus“ versus „universelle, missionierdende monotheisitsche Religion“ um die Vorherrschaft ansehen. Im Westen hat der Liberale Humanismus das Christentum als „universelle, missionierende Monotheistische Religion“ besiegt. Im Vergleich zum Mittelalter hat christlicher Glaube massiv an Macht verloren. Religion ist nicht mehr die Norm, an der sich alle zu orientieren haben, sondern zur privaten Angelegenheit jedes Einzelnen geworden ist. Nur wenn der Islam dieses Primat des liberalen Humanismus akzeptiert, passt der Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“.

Für meinen Roman gehe ich von einem Islam aus, der dies nicht akzeptiert, sondern die bestimmende gesellschaftliche Norm sein will. Dementsprechend misstrauen sie den europäischen Flüchtlingen und dulden diese nur als „Gastarbeiter“, wo diese ihnen nützlich erscheinen. Dies ermöglicht die Darstellung eines möglichst großen Kulturschocks und stellt zugleich einen weiteren Perspektivwechsel dar. Für die Glaubwürdigkeit bediene ich mich Themen wie dem saudischen Blogger Badawi, der saudischen Diskussion ob Frauen Auto fahren dürfen, den Mutawwa, der Beduinen-Tradition und so weiter. Diese Aspekte recherchierte ich in diversen Zeitungen und im Internet.

Was ist für Sie die ergreifendste Szene?

Bender: Da habe ich zwei Favoriten. Entweder die Flucht der Eltern, bei der gleich zu Beginn der Flucht einer von beiden stirbt oder die Wiedervereinigung der übrig gebliebenen Familienmitglieder am Ende des Buches.

Das Gespräch führte Iris Frey.