Wenige Minuten, nachdem sie gefangen wurden, erkunden die erwachsenen Eidechsen die neue Umgebung im Übergangsterrarium. Quelle: Unbekannt

Von Mathias Kuhn

Biologin Franziska Vögler und ihre Kollegen nutzen die Sommertage. Mit Angeln gehen sie seit vier Wochen am Bahndamm zwischen den Otto-Hirsch- und den Otto-Konz-Brücken auf „Jagd“. Ihr Auftrag: Rettung der streng geschützten Zaun- und Mauereidechsen. Mit Geschick und Geduld „angeln“ sie die flinken Tiere und siedeln sie am selben Tag zehn Kilometer entfernt wieder aus. Mauereidechsen kommen in ihrer neuen Heimat nahe der Feuerbacher Heide wieder frei.

Nicht der frühe Vogel, sondern die Reptilienexperten um Diplombiologin Vögler fangen seit Wochen entlang des Bahndamms hinter dem Egistuck-Gelände flinke Echsen. „Es lohnt sich, früh mit der Suche zu beginnen“, sagt Vögler. Zwischen 9 und 11 Uhr sind die Chancen am günstigsten. Die wechselwarmen Tiere sind durch die kühleren Nachttemperaturen noch etwas „steif“, kommen aus der Deckung und suchen die wärmenden Strahlen der Morgensonne. Gerne nehmen sie auf den Steinen des Bahndamms ein Sonnenbad. Die geübten Augen der Eidechsenretter entdecken die braun-grünen Bodenbewohner schnell. Dann sind Geduld und Geschick gefragt. Normalerweise huschen die flinken Reptilien bei der kleinsten Störung in ihre Deckung. Zaun- und noch stärker Mauereidechsen leben unter anderem in Hohlräumen von Schotterflächen. Sie nutzen die Nischen als Schutz vor der Nachtkälte sowie als Kühlraum in der Mittagshitze. Deutschlandweit gelten Mauer- wie auch Zauneidechsen als seltene und höchst schützenswerte Arten. In der Region Stuttgart haben sie sich in den Ritzen der Weinberg-Trockenmauern, aber eben auch entlang der Bahndämme, auf dem Untertürkheimer Güterbahnhof oder auf ungenutzten Geländen angesiedelt. Auf begrünten Schotterflächen können die Räuber sich sonnen und Insekten jagen.

„Angeln“ am Bahndamm

Seit vier Wochen sind sie die Gejagten. Da zwischen den Otto-Hirsch- und den Otto-Konz-Brücken 2018 mit den Bauarbeiten für den Tunnelmund für die Obertürkheimer Stuttgart-21-Röhre begonnen werden soll, müssen die Kriecher gerettet werden. Auf der in Fahrtrichtung Stuttgart linken Dammseite, dort wo der Neckarradweg entlangführte, ist dies 2015 geschehen. Seit Juli werden die Tiere nun auf der gegenüberliegenden Seite - hinter dem Egistuck- und Nanzareal - gesammelt.

Eine spannende Angelegenheit. Franziska Vögler pirscht sich vorsichtig Richtung zu dem sich auf dem Stein sonnenden Tier vor, greift zu ihrem Fanggerät. „Wir nutzen eine normale Angel, an deren Ende wir mit einem Faden eine Schlinge geformt haben“, sagt die Reptilienexpertin. Langsam schiebt sie die Teleskop-Angel in Richtung der sonnenden Eidechse, senkt die Schlinge in Zeitlupentempo über den Echsenkopf. „Manche Eidechsen interessieren sich sogar für den feinen Zwirn“, sagt Vögler. Sobald das Lasso um den Eidechsenkörper ist, zieht die Reptilienretterin die Angel hoch, die Schlinge zieht sich zu und im günstigen Fall baumelt das Tier an der Angel. Sie sind wehrhaft, haben bei geübten „Anglern“ aber keine Chance zu entkommen. In einem Leinensäckchen werden sie zum Terrarium transportiert.

„Jüngere Tiere fangen wir in einfachen Fallen, die wir aus Blumenkästen basteln“, erzählt Vögler. In den vergangen vier Wochen haben sie und ihre Kollegen rund 560 Eidechsen - junge und erwachsene - an der Bahnstrecke gesammelt. „Überwiegend Mauereidechsen, vereinzelt aber auch Zauneidechsen.“ Alle Tiere werden noch am selben Tag wieder freigelassen - in ihrer neuen Heimat.

Zauneidechsen werden in ein Biotop in Steinheim an der Murr umgesiedelt. Die Obertürkheimer Mauereidechsen bleiben in Stuttgart. Sie ziehen auf den Killesberg um. In der Nachbarschaft zur Feuerbacher Heide haben Biologen ein ideales Ersatzbiotop ausfindig gemacht. „In dem Gebiet gibt es bereits Mauereidechsen“, so Vögler. Auf einer benachbarten, grünen Wiese wurden nun Steine in unterschiedlicher Größe aufgeschüttet - das ideale Refugium für die braunen Echsen geschaffen. Die Maßnahme führte bei Anwohnern zwar zu Protesten und warf Diskussionen über die Kosten der Tierschutzmaßnahmen auf. Ungeachtet der Proteste scheinen sich die ausgesetzten Tiere unweit der Höhenparks jedoch wohl zu fühlen. „Für das 1,4 Hektar große Gebiet entlang des Bahndamms haben sie ein gleich großes Areal“, sagt Vögler.