Johannes Zürn, Johanna Schulz und Jürgen Herrmann, der stellvertretende Leiter der Bahnhofsmission (von Links), helfen einer Reisenden. Foto: Kuhn - Kuhn

Johannes Zürn leistete ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Bahnhofsmission. Sein Fazit: Er hat fürs Leben viel gelernt.

WangenEin bisschen Wehmut schwingt am letzten Arbeitstag von Johanna Schulz aus Gerlingen und Johannes Zürn aus Wangen schon mit. Anfang September 2017 begannen die beiden Teenager ihr Freiwilliges Soziales Jahr in der Bahnhofsmission. 365 Tage später wollen sie keinen Tag missen. „Es war eine tolle Zeit, es hat Spaß gemacht. Vermutlich habe ich mehr fürs Leben gelernt, als meine Klassenkameraden im gleichen Jahr in der Schule“, sagt Zürn. Bereits wenige Tage nach Arbeitsbeginn waren Schulz und Zürn ins Team der Bahnhofsmission integriert. Sie übernahmen die gleichen Aufgaben wie die hauptamtlichen und freiwilligen Mitarbeitern der Bahnhofsmission: „Wir sind für die Zugreisenden und die Menschen da, die hier im Hauptbahnhof stranden“, erzählt Schulz. Fast eine Viertelmillion Menschen eilen täglich durch den Stuttgarter Hauptbahnhof oder halten sich in den Hallen oder an den Bahnsteigen auf. Darunter sind Zugreisende, aber auch Menschen, die aus der Bahn geworfen wurden, und unterschiedliche Hilfe benötigen.

Die Stuttgarter Bahnhofsmission ist von 7 bis 21 Uhr besetzt. Sie wird ökumenisch geführt. Seit einem Brand an ihrem ehemaligen Standort hat die Bahnhofsmission die einstigen Räume des Postamts bezogen. Eine steile Treppe führt in den ersten Stock empor. Der große Saal ist Anlaufstelle für Notleidende aller Art. „Zu uns kommen morgens beispielsweise Menschen, die sich nach einer Nacht auf der Straße, aufwärmen und einen Tee trinken wollen“, erzählt Zürn. „Aber in der Bahnhofsmission halten sich auch Durchreisende auf, die eine längere Zeitspanne bis zum Anschlusszug überbrücken müssen, sich hier ausruhen oder das Handy aufladen wollen“, ergänzt Schulz. Drogenabhängige und psychisch Angeschlagene schauen bei den Mitarbeitern vorbei und einsame Menschen mit Sorgen sind froh, hier jemanden zum Reden zu finden. Jeder ist in der Bahnhofsmission willkommen. Die Hilfe ist kostenlos, die Berührungsängste sind niedrig.

Begleitung für Blinde

Noch an seinem letzten Arbeitstag hat Zürn zwei Kinder von einem Zug zum anderen begleitet. Speziell ausgebildete Mitarbeiter der Bahnhofsmission begleiten Kinder, die ohne Erwachsene reisen, auf ihrer Fahrt. Wenn sie dann umsteigen müssen, werden sie von den Bahnhofsmitarbeitern vor Ort – beispielsweise in Stuttgart – im Empfang genommen und zum Anschlusszug gebracht. Zürn und Schulz begleiteten ebenso Gehörlose, Blinde oder Gehbehinderte auf ihren Wegen und gaben Orientierungslosen Fahrplanauskünfte. „Hier bekommt man viele Schicksale mit und kann oft mit kleinen Dingen helfen“, sagt Zürn. Er habe hier erstmals die Schattenseiten im Leben der anderen kennengelernt, Erfahrungen gemacht, aber auch viel Dankbarkeit erfahren. „Die zwölf Monate bwaren auf keinen Fall ein verlorenes Jahr. Es war wertvoll. Andere reisen durch Australien oder Asien, ich habe das Leben vieler Menschen von hier kennengelernt“, zieht Zürn eine durchweg positive Bilanz. Nebeneffekte: Durch seine zwölf Jahre auf dem Gymnasium und dem Freiwilligen Sozialen Jahr hat der Wangener die Fachhochschulreife erreicht und ist sich über seinen beruflichen Weg klar geworden. „Der Bahnhof fasziniert mich. Ich beginne eine Ausbildung als Kaufmann für Verkehrsservice bei der Bahn“, verrät der 19-Jährige.