So könnte das neue Batteriewerk von Mercedes-Benz in Esslingen-Brühl unmittelbar an der B 10 aussehen. Foto: Visualisierung: Daimler - Visualisierung: Daimler

Frank Deiß hat 2015 die Leitung des Mercedes-Benz-Werks Untertürkheim übernommen. Im Interview erzählt er, wie der Standort das Kompetenzzentrum für alle Antirebsarten und die E-Mobilität bleibt.

UntertürkheimAm 1. August 2015 übernahm Frank Deiß die Leitung des Mercedes-Benz-Werk Untertürkheim. Er soll das Stammwerk für die Zukunft rüsten, die Transformation von den konventionellen Antriebsformen hin zur Elektromobilität einleiten und Arbeitsplätze sichern. Im Interview erzählt er von ersten Investitionen in die Zukunft. Der Schwabe ist optimistisch. Der Standort werde das Kompetenzzentrum für alle Antriebsarten, auch für E-Mobilität und Batterien bleiben.

Herr Deiß, Sie haben vor knapp drei Jahren die Leitung des Mercedes-Benz-Stammwerks Untertürkheim übernommen und mit ihrem Team seitdem einiges bewegt. Unweit des Untertürkheimer Tors wurde eine neue Produktionshalle eingeweiht. Wie läuft die Produktion an?
Wir fertigen wie geplant die Stückzahlen in der geforderten Qualität. Die Halle ist unser Befreiungsschlag. 12 000 Quadratmeter sind überbaut. Die mechanische Fertigung für Kurbelgehäuse und Zylinderköpfe ist dort beheimatet. In der Halle haben wir agile Produktionssysteme im Einsatz. Wir können dadurch Teile für Vier- und Sechszylinder problemlos fertigen, und zwar Otto- und Dieselmotoren, je nachdem was der Markt verlangt.

Ein Modell für die Zukunft also?
Unsere neue Motorengeneration basiert auf einem ähnlichen Aufbau der Motoren. Die Grundmotoren der neuen Vier- und Sechszylinder-Reihenmotoren haben sowohl in der Otto- als auch in der Diesel-Variante einen identischen Zylinderabstand und identische Schnittstellen zum Fahrzeug. Das ermöglicht uns die flexible Bearbeitung von unterschiedlichen Motorvarianten mit den agilen Produktionssystemen. Dadurch sind wir flexibler geworden und können bestens auf Marktschwankungen reagieren. Übrigens: Das Rohteil des Kurbelgehäuses für den Sechszylinder-Reihenmotor kommt aus der Gießerei in Mettingen, wird in Untertürkheim bearbeitet und im Motorenwerk Bad Cannstatt montiert. Das zeigt unsere enge Zusammenarbeit am Traditionswerk.

Was zeichnet diesen Motor aus?
Die Zylinderlaufbahnen des Motors werden mit Lichtbogendrahtspritzen beschichtet. Wir machen die Innenseite der Zylinderlaufbahnen so glatt wie möglich. Dies vermeidet Reibung, spart Sprit und verbessert die CO2-Bilanz. Das Verfahren haben wir entwickelt und patentiert. Das zeigt: Wir investieren permanent in neue Technologien und Innovationen.

An der Benzstraße steht das vor 25 Jahren erneuerte Reihenmotorenwerk. Jetzt wurde wieder umgebaut. Wozu?
Dort läuft die Montage des M264 an. Er wird der Hauptvolumenträger im Vier-Zylinder-Otto-Bereich. In der alten Halle stehen 55 000 Quadratmeter zur Verfügung. 29 000 Quadratmeter davon haben wir für die agile Montagelinie umgebaut. Eine Grundsanierung war notwendig.

Eine weitere Baustelle gibt es am Cannstatter Tor. Was wird dort modernisiert?
Ein klassisches Bürogebäude. Hier haben wir den Altbestand grundsaniert. Die Arbeiten sind nahezu abgeschlossen.

Ein Blick in die Zukunft. Wie weit ist das Thema E-Mobilität gediehen?
Wir haben 2017 mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung getroffen. Darin beschlossen wir, dass das Werk Untertürkheim zusätzlich zu Motoren, Getrieben, Achsen und Komponenten ein weiteres Standbein bekommt. Nämlich die E-Mobilität. Deswegen bauen wir unter anderem ein Batteriewerk in Brühl. In Mettingen wird zudem das E-Technikum auf einer Fläche von 10 000 Quadratmetern gebaut. Als Lead-Werk und Kompetenzzentrum im Powertrain-Produktionsverbund haben wir eine Anlauffabrik für Achsen, Motoren und Getriebe. Analog wird es eine Anlauffabrik für Batterien geben. Wir sichern uns also die Rolle des Lead-Werks auch für Komponenten der Elektromobilität. Zudem haben wir in Untertürkheim mit der Entwicklungsabteilung ein Projekthaus zum Thema Elektrischer Antriebsstrang auf die Beine gestellt. In Mettingen werden wir elektrische Achsen produzieren. Damit partizipiert das Werk Untertürkheim an den Wachstumsprognosen der Produkt- und Technologiemarke EQ.

Wo wird das Batteriewerk gebaut?
In Brühl, unmittelbar an der Bundesstraße 10. Die Planungen laufen bereits auf Hochtouren. Ab 2020 sollen die ersten Batterien gefertigt werden. Auch architektonisch werden wir uns sicher etwas einfallen lassen.

Apropos Perspektive: Wie wird das Miteinander zwischen E-Mobilität und konventionellen Benzinmotoren ablaufen?
Wir gehen davon aus, dass bis 2025 der Anteil an reinelektrischen Fahrzeugen am Gesamtabsatz von Mercedes-Benz zwischen 15 und 25 Prozent ausmacht. Das hängt natürlich von der Entwicklung der Infrastruktur und der Kundenpräferenzen ab. Das bedeutet aber auch, dass wir in absoluten Zahlen 2025 deutlich mehr konventionelle Antriebe fertigen als heute, da wir mit einem steigenden Absatz an Mercedes-Fahrzeugen rechnen. Die Transformation wird Zeit in Anspruch nehmen. Aber klar ist: Die Zukunft ist die Elektromobilität.

Und das Stammwerk Untertürkheim ist darauf vorbereitet?
Wir haben in der Vergangenheit mehrere Milliarden Euro in die Weiterentwicklung des Standorts investiert und auch in Zukunft folgen weitere substanzielle Investitionen. Dies ist ein eindeutiges Bekenntnis zum Standort. Der Standort bleibt Kompetenzzentrum für alle Antriebsarten und weitet diese Funktion auch auf die Batterieproduktion aus. Wir haben am Standort alle Funktionen: Entwicklung, Produktion, Planung, Qualität, Logistik.

Sie blicken also optimistisch in die Zukunft des Automobilbaus?
Die Vereinbarung mit dem Betriebsrat ist eine Blaupause, wie wir in Deutschland an einem klassischen Industriestandort die Transformation managen können. Die Powertrain-Welt wird sich massiv verändern. Die Herausforderung besteht darin, den ‚Sprint‘, bei den konventionellen Antrieben mit dem ‚Marathon‘, den uns die Elektromobilität abverlangt, zu verbinden. Das heißt, wir müssen weiterhin Diesel- und Otto-Motoren in Top-Qualität, mit steigenden Stückzahlen und hoher Effizienz fertigen und gleichzeitig die E-Antriebsumfänge in die bestehende Produktion integrieren. Mit der Batteriemontage, dem E-Technikum, der elektrischen Hinter- und Vorderachse haben wir genügend Komponenten, die die Zukunftsfähigkeit des Standorts sicherstellen.

Die Fragen stellte Mathias Kuhn