Helene Erhardts Tochter und Enkelin, Gertrud und Stefanie Hauser, blättern in einem dicken Ordner voller Erinnerungen. Quelle: Unbekannt

Helene Erhardt ist eine von vielen Unbeugsamen, die sich dem NS-Regime widersetzt haben. Für ihre Überzeugung ging sie ins Gefängnis – und blieb ihrer Haltung zeitlebens treu.

LugingslandNein, als Heldin habe sich ihre Großmutter nie empfunden, sagt Stefanie Hauser nachdenklich. „Aber sie war eine sehr mutige Frau.“ Zusammen mit ihrer Mutter Gertrud Hauser blättert sie in einem dicken Ordner voller Zeitdokumente, der ein schicksalhaftes Leben skizziert: Helene Sofie Erhardt, geborene Albrecht, war im Dritten Reich eine politisch Verfolgte. Keine, nach der später eine Straße benannt wurde, oder an die heute eine Gedenktafel erinnert. Vielmehr eine der vielen unbekannten Unbeugsamen, die für ihre Überzeugung ins Gefängnis gingen. Sie wurde zur Widerstandskämpferin, weil sie einfach nicht wegschauen wollte, als die Unmenschlichkeit in Deutschland Einzug hielt. Entwickelt ha be sich alles aus der Zugehörigkeit zur Arbeiterschaft, umriss Helene Erhardt später selbst einmal ihre Biografie. Der Wunsch nach mehr Gerechtigkeit, der solidarische Kampf um bessere Lebensbedingungen für die „kleinen Leute“ hatten sie für ihr ganzes Leben geprägt.

Schwere Lebensumstände

Geboren am 13. November 1908, wächst Helene Erhardt im Stuttgarter Westen in einfachen Verhältnissen auf. Der Vater ist kaum zuhause, weil er als Aufzugsmonteur viel auf Reisen ist, die Mutter kümmert sich um Kinder und Haushalt. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, nimmt die materielle Not noch mehr zu – und wird auch nicht kleiner nach dessen Ende. „Das Leben ist ein täglicher Existenzkampf gewesen“, schildert Stefanie Hauser die Zustände jener Zeit. Helenes ältere Brüder Georg und Alfred schließen sich frühzeitig der Sozialistischen Arbeiterjugend an, die kleine Schwester kommt in die sozialistische Kindergruppe im Pestalozzihaus. 1921 tritt die ganze Familie gar aus der Kirche aus – und die Anfeindungen nehmen zu.

Helene beginnt eine Lehre als Verkäuferin, arbeitet ab 1926 beim Spar- und Konsumverein Stuttgart. „1930 wird sie die jüngste Filialleiterin Stuttgarts, darauf ist sie sehr stolz gewesen“, erzählt die Enkelin voller Bewunderung und Respekt. Mittlerweile Mitglied im Arbeiterschwimmverein, beim Kommunistischen Jugendverband Deutschlands und bei den Naturfreunden, lernt die junge Frau unter anderem Willi Bleicher und Friedrich Schlotterbeck kennen – und den ebenfalls aus Luginsland stammenden Kommunisten Eugen Podrabsky. Beide werden ein Paar, engagieren sich bei den Stuttgarter Oppositionskommunisten, dem immer rauer werdenden politischen Wind zum Trotz.

Aktionen gegen Nationalsozialisten

Als Hitler im Januar 1933 die Macht ergreift, werden Linksparteien und Gewerkschaften verboten – Helene und ihre Freunde bringen illegal Schriften unter die Leute, mit Glück übersteht sie Personenkontrollen. Vor den Reichstagswahlen im März beteiligt sie sich an Aktionen gegen die Nationalsozialisten: Nachts fährt sie mit dem Fahrrad „Schmiere“, während andere Genossen mit roter Rostschutzfarbe Parolen aufbringen. Im November dann wird sie vom Lehrmädchen ihres Konsumladens denunziert und daraufhin festgenommen. Ihr Verlobter Eugen kommt am nächsten Tag in Untersuchungshaft. Stundenlange Verhöre muss sie über sich ergehen lassen, auf ihre Schwangerschaft wird keine Rücksicht genommen. Beide werden 1934 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt: Eugen zu einem Jahr und fünf Monaten Gefängnis, Helene zu einem Jahr und sieben Monaten – zur Entbindung ihrer Tochter Gertrud im Juli bekommt sie eine kurze Haftunterbrechung. Als ihre Strafe im Dezember 1935 abgelaufen ist, wartet die Mutter jedoch vergeblich auf sie: Helene wird in Schutzhaft genommen. Denn die Machthaber gehen fest davon aus, dass sie sich aufgrund „ihrer politischen Veranlagung“ wieder staatsfeindlich betätigen wird.

Im Februar 1935 wird sie ins KZ Moringen bei Hannover verlegt – gut ein Jahr später bietet man ihr die Entlassung unter der Bedingung an, dass sie jeden Kontakt zu Eugen Podrabsky unterlässt. Sie hält sich nicht an das Verbot. „Natürlich nicht“, sagt Stefanie Hauser lächelnd. „Er war die Liebe ihres Lebens.“ Über ihren Schwager hält Helene Kontakt zu dem mittlerweile in Prag lebenden Eugen, der nach seiner Haftverbüßung Deutschland verlassen musste. Als im Juli 1937 ein Brief von ihr abgefangen wird, erhält sie ebenfalls die Ausweisung in die Tschechei. Dort kümmert sich das Paar um Freunde in Bedrängnis. Auch dann noch, als 1939 die Deutschen einmarschieren. Dennoch gelingt es Helene, als sogenannte Protektoratsangehörige die Kriegsjahre in Prag einigermaßen gut zu überstehen.

1945 kehrt sie – allerdings ohne Eugen – nach Stuttgart zurück, fängt bald darauf an, in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) zu arbeiten, zieht zunächst in die Lotharstraße nach Luginsland, dann nach Feuerbach und später nach Heumaden. Ab 1948 arbeitet sie als Sachbearbeiterin bei der AOK – 20 Jahre lang. Von ihrem Mann lässt sie sich 1950 scheiden. „Schweren Herzens“, erzählt die Enkelin. „Eugen wollte die DDR nicht verlassen und sie nicht dorthin ziehen. Aber sie haben bis zu seinem Tod 1978 Kontakt gehalten, auch wegen der gemeinsamen Tochter.“ Die zweite Ehe mit ihrem Jugendfreund Wilhelm Erhardt hält indes nicht lange. Die Naturfreunde wurden zu ihrer Familie, dort engagiert sie sich in verschiedenen Ortsvereinen und im Landesverband.

Niemals mehr Mitglied einer Partei

Helene Eberhardt bleibt in Verbindung mit alten Weggefährten und beobachtet das Zeitgeschehen weiterhin kritisch. Ihrer Gesinnung, so betonte sie einmal stolz in einem Zeitungsartikel, sei sie treu geblieben. Ihre politischen Ansichten habe sie jedoch nicht an die große Glocke gehängt, räumt Stefanie Hauser ein. „Sie ist auch nie mehr in eine Partei eingetreten.“ Allerdings kandidiert sie einmal bei der Stuttgarter Gemeinderatswahl – 1975 im Alter von 67 Jahren für das Parteifreie Bündnis Eugen Eberle.

Nach langer, schwerer Krankheit stirbt Helene Erhardt am 18. Juli 1986. „Sie hat selten über ihr Leben gesprochen“, sagt die Enkelin, die es wiederum wichtig findet, diese Biografie öffentlich zu machen. Die Sozialarbeiterin nutzt inzwischen gern die Gelegenheit, bei Veranstaltungen vom Schicksal ihrer Oma zu erzählen. „Mich beunruhigt der zunehmende Rechtsradikalismus“, erklärt Stefanie Hauser ihre Motivation. Sie sehe durchaus Parallelen zu jener Zeit. „Dem muss man sich doch entgegenstellen.“