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Seit fast fünf Jahren lebt eine 30-Jährige mit einer vergessenen Operationsnadel im Körper - am Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart fordert sie jetzt mehr Schmerzensgeld

Stuttgart (dpa/lsw) Reiten? Lieber nicht. Mit den Kindern auf dem Trampolin springen? Auch nicht so gut. Genauso wenig wie Inline-Skater fahren oder sonstwas. Eine 30-Jährige aus Aalen lebt mit einer Operationsnadel im Unterleib. Seit fünf Jahren. Stürze sollte sie tunlichst vermeiden, raten ihr die Ärzte. «Ich lebe mit erheblichen Einschränkungen, jeden Tag», erzählt die Frau mit den langen schwarzen Haaren am Dienstag in Stuttgart.

Dort verhandelt das Oberlandesgericht über den ungewöhnlichen Fall, der zurückreicht bis zu einer Nierensteinoperation am renommierten Bundeswehrkrankenhaus in Ulm im März 2013. Die heute 30-Jährige hatte sich die Klinik für den Eingriff selbst ausgesucht. Doch dann blieb eine von insgesamt nur vier eingesetzten, knapp zwei Zentimeter langen Operationsnadeln in ihrem Körper zurück. Gut sichtbar bis heute bei Röntgenaufnahmen. Das Beunruhigende: Mindestens ein Mal hat sie sich schon bewegt. Aktuell liegt sie tief drin an einem Lendenmuskel, wie es heißt. Wie gefährlich ist das? Können Organe verletzt werden?

Dass sich nun auch noch der Bund als Träger des Krankenhauses in Ulm, in dem das Missgeschick passierte, weigert, Schadenersatz und Schmerzensgeld zu zahlen, macht die Betreiberin eines Nagelstudios sauer. Das Landgericht Ulm hatte der Frau in erster Instanz 13 000 Euro und rund 2000 Euro Schadenersatz zugesprochen, wie eine Sprecherin des OLG berichtete. «Ich habe doch schon für immer die Nadel im Körper. Ich muss damit leben. Was ist mit meinen Kindern, wenn mir was passiert.» Herausoperieren möchte sie die Nadel nicht. Zumal jede OP ein Risiko birgt - und Ärzte ihr abgeraten haben.

Der Vorsitzende Richter Wolfgang Reder macht am Dienstag bei der Berufungsverhandlung recht bald klar, wie die Kammer zu der Sache steht: «Wir sehen keinen Grund, von der Haftung wegzukommen», sagt er in Richtung des Vertreters des Bundesverteidigungsministeriums in Bonn. Heißt: Der Bund muss zahlen. Wie viel, wird sich noch herausstellen, Gespräche laufen. Die Entscheidung will das OLG am 20. Dezember verkünden.

Der behandelnde Arzt kann sich das Versäumnis derweil immer noch nicht erklären. Er habe zum Vernähen Fäden mit jeweils Nadeln an den beiden Enden verwendet, berichtet er. Drei Nadeln habe er eingesetzt. Wie die Nadel im Körper der Patientin zurückbleiben konnte, sei ihm bis heute nicht klar. Für das Zählen und kontrollieren der verwendeten Gegenstände vor und nach der OP sei der behandelnde Arzt nicht zuständig, sagte eine Sachverständige. Inzwischen gebe es vielerorts auch eine Dokumentationspflicht, was vor fünf Jahren noch nicht so gewesen sei. Ob das Material in Ulm vor und nach der OP gezählt wurde, bleibt unklar.