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Frankfurt/Main/Sindelfingen (dpa) - Um höhere Löhne geht es im laufenden Tarifkonflikt der deutschen Metall- und Elektroindustrie wirklich nur noch am Rande. IG Metall und der Arbeitgeberverband ringen vor allem um neue Arbeitszeitmodelle: Forderungen nach befristeter Teilzeit für breite Beschäftigtengruppen kontern die Arbeitgeber mit dem Hinweis, man benötige wegen der guten Auftragslage deutlich mehr Arbeitsvolumen. Die Leute sollen in den brummenden Fabriken länger arbeiten dürfen, auch weil in Zeiten des Fachkräftemangels keine zusätzlichen Leute zu finden seien.

Im aktuellen Tarifkonflikt legten am Dienstag erstmals auch Tausende Daimler-Mitarbeiter im Sindelfinger Werk des Autobauers die Arbeit nieder. „Diesmal ist es nur ein Warnstreik, aber wir können eskalieren - wenn kommende Woche von den Arbeitgebern kein anständiges Angebot kommt, dann streiken wir den ganzen Tag“, rief Daimler-Vize-Betriebsratschef Ergun Lümali seinen Kollegen bei einer Kundgebung vor den Werkstoren zu.

Die IG Metall geht nach eigenen Angaben mit einer prall gefüllten Streikkasse in die heiße Phase des Tarifkonflikts für rund 3,9 Millionen Beschäftigte. Hauptkassierer Jürgen Kerner präsentierte am Dienstag in Frankfurt für das vergangene Jahr bei einer weitgehend stabilen Mitgliederzahl einen erneuten Rekord von Beitragseinnahmen in Höhe von 561 Millionen Euro. Mindestens 15 Prozent davon fließen in die Rücklagen. „Unsere Streikkasse ist gut gefüllt. An dem Thema wird der Konflikt nicht scheitern“, sagte der Gewerkschafter.

Gewerkschaftschef Jörg Hofmann setzt dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall eine klare Frist: Zum Auftakt der vierten Verhandlungsrunde am 24. Januar in Stuttgart müsse erkennbar werden, wohin die Reise geht. Der Vorstand der Gewerkschaft werde am 26. Januar nach Sitzungen sämtlicher regionalen Tarifkommissionen entscheiden, ob eine weitere Eskalation unvermeidbar sei. „Wir sind auf alles vorbereitet - auch auf bundesweite ganztägige Warnstreiks oder eine Urabstimmung und damit unbefristete Flächenstreiks in einzelnen Regionen.“ Am Dienstag legten erneut rund 33 000 Beschäftigte in Warnstreiks für wenige Stunden die Arbeit nieder, die Gesamtzahl der Teilnehmer erhöhte sich laut IG Metall auf 425 000.

Die Finanzkraft der größten deutschen Gewerkschaft hat im laufenden Jahr besondere Bedeutung, da erstmals auch Warnstreik-Teilnehmern Verdienstausfälle gezahlt werden können. Das war bislang nur bei ordentlichen Streiks mit vorhergehender Urabstimmung möglich. 2015 hat sich die IG Metall mit einer Satzungsänderung als neues Kampfmittel die Tagesstreiks geschaffen. Sie gelten als Warnstreiks, sollen aber zugleich für die Teilnehmer ohne Verdienstausfälle ablaufen.

Gleichzeitig sendet Hofmann Kompromiss-Signale, indem er die bislang nur in Baden-Württemberg etablierten Langzeitarbeitskonten lobt. Sie könnten bei guter Auslastung aufgefüllt werden und bei schlechter Auslastung die Beschäftigung sichern. „Wir hätten dieses Instrument gerne bundesweit. (..) Ich halte das für vernünftiger, als Überstunden auszuzahlen“, erklärte Hofmann. Über eine Ausweitung der 40-Stunden-Quote, also eine um fünf Stunden verlängerte Wochen-Regelarbeitszeit, will er hingegen nicht verhandeln. Bislang ist das für 18 Prozent der Tarifbeschäftigten möglich.
Für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten in den deutschen Kern-Industriezweigen Metall und Elektro fordert die Gewerkschaft neben sechs Prozent mehr Geld die Option, die Arbeitszeit befristet auf 28 Wochenstunden senken zu können. Schichtarbeiter, Eltern kleiner Kinder sowie pflegende Familienangehörige sollen dafür einen Teillohnausgleich erhalten. Die Arbeitgeber lehnen insbesondere die Ausgleichszahlungen vehement ab, weil sie Beschäftigte benachteiligten, die bislang schon freiwillig und ohne Ausgleich kürzer arbeiteten.

Gesamtmetall erwartet allein wegen der Teilzeit-Pläne der möglichen Bundesregierung aus Union und SPD ein reduziertes Arbeitszeitvolumen in den Betrieben. „Das verschärft den Fachkräftemangel und macht die tarifliche 40-Stunden-Quote endgültig obsolet. Die Tarifvertragsparteien müssen den Beschäftigten erlauben, ihre Arbeitszeit freiwillig zu verlängern, wenn diese es wollen“, sagte Hauptgeschäftsführer Oliver Zander der Deutschen Presse-Agentur. In Betrieben mit Fachkräftemangel müssten höhere betriebsindividuelle Quoten erlaubt werden.