Ist das Glas halb voll oder halb leer? Das fragen sich die Genossen auch mit Blick auf das vorliegende Sondierungspapier. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Julia Giertz

Stuttgart - Eine mögliche Blöße so kurz vor dem zukunftsweisenden Parteitag der SPD an diesem Sonntag wollte sich Landeschefin Leni Breymaier wohl nicht geben. Sie versammelte zwar den Landesvorstand und die Delegierten am Dienstag in Stuttgart. Die Frage stand dabei im Raum, ob die Südwest-SPD nun für oder gegen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union ist. Aber anders als etwa die Genossen am selben Abend in Hamburg ließ Breymaier lieber nicht abstimmen. Sie sprach nur von einem „guten Bauchgefühl“, das in Richtung Aufnahme der Verhandlungen deute. In Hamburg stimmte der Vorstand einstimmig für die GroKo-Verhandlungen. Dabei wäre etwa der Schwäbisch Haller Oberbürgermeister und Landeschef der Kommunalpolitischen Vereinigung, Josef Pelgrim, als Teilnehmer durchaus für eine Abstimmung gewesen. Er ist für eine GroKo. Sein Vorschlag lief aber ins Leere. Ein Parteisprecher begründete den Verzicht auf eine Probeabstimmung gestern damit, dass die 47 Delegierten aus Baden-Württemberg beim Bundesparteitag in Bonn ohnehin frei entscheiden dürften. Ein Votum, so die Argumentation, hätte ohnehin keine bindende Wirkung gehabt. Doch der Tübinger Politologe Hans-Georg Wehling sieht ein anderes Motiv: die Angst der Landeschefin vor einer Ablehnung der GroKo-Gespräche. „Sie hat vermutlich keine Abstimmung gemacht, weil sie eigentlich das Gefühl hatte: „Das kann daneben gehen“.“ Das Vorgehen bestärke seine Zweifel an der Geschlossenheit der Partei im Land, sagte Wehling. Das „Bauchgefühl“ könnte Breymaier durchaus täuschen. „Oder sie verbreitet Zweckoptimismus.“

Dass es an der SPD-Basis im Land rumort, ist offensichtlich. „Eine klare Mehrheit bei der SPD im Land für eine GroKo sehe ich überhaupt nicht“, sagt der Stuttgarter Kreischef Dejan Perc. Er ist selbst ein Gegner von Koalitionsgesprächen. Er vermisst bei dem vorgelegten Sondierungspapier von Union und SPD Signale des Aufbruchs wie die Einführung einer Bürgerversicherung. Auf Kreisverbandsebene, etwa beim Verband Rhein-Neckar, und bei den Ortsvereinen sei der Widerstand groß, habe er beobachtet. Der Vorstand des Ortsvereins Stuttgart-Mitte etwa hat sich einstimmig gegen Verhandlungen für eine GroKo ausgesprochen. „Den meisten war das Papier mit den Sondierungsergebnissen viel zu dünn“, erläutert Ortsvereinschef Heinrich Huth. Insbesondere die Grenzen der Flüchtlingszuwanderung seien nicht vereinbar mit den humanitären Grundprinzipien der SPD. In der Finanzpolitik fehlt ihm ein höherer Spitzensteuersatz. Das Papier sei nur der kleinste gemeinsame Nenner und verbreite alles andere als Begeisterung.

Die SPD lässt erstmals einen Bundesparteitag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden. Macht der Parteitag den Weg frei, stimmen am Ende noch die Parteimitglieder über den Koalitionsvertrag ab. Gefragt sind dann die rund 35 600 Genossen im Südwesten. Eine „Zitterpartie“, meint der Politologe Wehling.