In Karlsruhe zu sehen: liegender weiblicher Akt mit Birne (Leda II) aus dem Jahr 1887. Foto: Von der Heydt-Museum Wuppertal/Antje Zeis-Loi Quelle: Unbekannt

Von Anika von Greve-Dierfeld

Karlsruhe - Es ist ein erstaunliches und unerwartetes Bild, das die Ausstellung eröffnet. Wie eine amorphe Masse quellen Linien, Windungen, gewölbte Grotten und weiche Schluchten über einen davon fast gänzlich verdeckten Stuhl. Bei näherer Betrachtung werden aus den Grotten Armlöcher, aus Schluchten die Kragenöffnung, aus den Wellen und Windungen der fließende Stoff einer Jacke. Aus dem eigentlich unbewegten Stillleben wird das äußerst dynamische Porträt einer abwesenden Person. Die Zeichnung „Jacke auf einem Stuhl“ bändigt den Titel der großen Cézanne-Schau gleich zu Beginn in ein Wort: „Metamorphosen“ heißt die Ausstellung, die in der Kunsthalle Karlsruhe von morgen an einen grandiosen Blick auf das Werk von Paul Cézanne wirft.

„Cézannes Werk ist von Übergänglichkeiten und Verschleifungen zwischen den Bildgattungen geprägt“, erklärt Kurator Alexander Eiling. Zwei Jahre hat er an der Großen Sonderausstellung des Landes Baden-Württemberg gearbeitet und gut 100 Werke aus allen Schaffensphasen des Künstlers nach Karlsruhe geholt - ein Drittel davon Ölgemälde, ein Drittel Zeichnungen, ein Drittel Aquarelle. Es ist die größte Cézanne-Ausstellung in Baden-Württemberg seit 1993: Damals brach eine Retrospektive des Meisters in der Kunsthalle Tübingen unter der Ägide des damaligen Kunsthallenleiters Götz Adriani alle Besucherrekorde.

Schädel, die lebhaft scheinen

Retrospektive - diesen Anspruch hat „Metamorphosen“ natürlich auch, aber lediglich zwangsläufig.In erster Linie will sie zeigen, was den 1839 im südfranzösischen Aix-en-Provence geborenen Maler umtrieb, wovon er besessen war und wie sehr seine Bilder ineinander verwoben sind und permanent aufeinander verweisen. „Sein Werk ist durchsetzt von Querverbindungen, quer durch seine Schaffenszeit, quer durch die Motive“, erklärt Eiling. Die Ausstellung bricht daher mit Chronologie, bricht mit Einteilung in unterschiedliche Bildgattungen, bricht mit üblichen Betrachter-Gewissheiten von: hier Stillleben, da Porträt, dort Landschaft. Zeitlebens nämlich spielte Cézanne mit „Stillstellung und Verlebendigung“, so ein Kapitel der Karlsruher Schau. Er malte etwa in „Totenkopfpyramide“ Schädel, die fast wie Gesichter lebhaft scheinen. Er malte Porträts, die wiederum seltsam leblos wirken, die Gesichter starr und entindividualisiert. Auf dem Gemälde „Selbstbildnis mit Palette“, hält der Künstler wie einen Schild seine Palette vor sich, entrückt und maskenhaft.

Er weichte die Grenzen zwischen den Genres auf. „Es ging ihm um Strukturen, um Rhythmus“, sagt Eiling. Äußerst nützlich war dem Bankierssohn dabei seine Faszination für das Kopieren der alten Meister. Hundertfach zeichnete er mit Bleistift Werke von Delacroix oder Michelangelo ab - nicht um sich in Proportionen oder Porträtkunst zu üben, sondern um deren Strukturen, Einteilungen und räumliche Linien in eigene Stillleben, Landschaften oder Figurengruppen zu übertragen. Signiert hat er, der erst 1895, gut zehn Jahre vor seinem Tod, eine Einzelausstellung bekam, seine Bilder so gut wie nie.

Die Ausstellungsgliederung „Kombinieren“, „Verwandeln“, „Übersetzen“, „Umkreisen“, „Auflösen“ oder „Verfestigen“ ist eine genaue Beschreibung von Cézannes prozesshaftem Arbeiten.Cézanne, ein immer von Zweifeln an seinem Können geplagter Maler, ein durch Hohn und Spott seitens der Kunstkritik tiefgekränkter Eigenbrötler befand sich permanent zwischen Nähe und Distanz, zwischen Hinwendung und Rückzug.

Vor der eigentlichen Ausstellung hängt ein riesiges Foto in schwarz-weiß. Es ist Cézanne, alt und weißbärtig vor seinem Häuschen in Aix-en-Provence. Für Besucher trägt er, die Kleidung etwas abgerissen und das Lächeln verschmitzt, einen Stuhl nach draußen. „Setzt euch doch“, scheint sein Blick zu sagen. „Ihr werdet staunen.“